Schwarz vermummt im Kanalnetz

Jürgen Scheugenpflug ist Wuppertaler Kabarettist und Leiter der Kabarett-Academy. In seinem satirischen Wochen-Rückblick kommentiert er Ereignisse aus dem Stadtleben.

Kennen Sie noch Christian Hanisch? Diesen voluminösen Herrn mit dekorativem Schnauzer, der im vorigen Jahr in einem kleinen Ort namens Deutschneudorf öffentlichkeitswirksam nach dem legendären Bernsteinzimmer wühlte. Auslöser der Grabungen waren Messungen Hanischs, mit denen er große Mengen Edelmetall im Boden aufgespürt hatte. Kein Wunder, liegt Deutschneudorf doch im Erzgebirge. Da muss der Zeiger bei Messungen überall in der Gegend ausschlagen. Zähflüssiges Baumharz hingegen, bis zu 260 Millionen Jahre alt, ist eine amorphe Substanz. Da schlägt kein handelsüblichen Metalldetektor aus. Aber immerhin: die Bilder der Wühlmäuse aus Sachsen sorgten für weltweite Aufmerksamkeit. Und der stolze Bürgermeister Heinz-Peter Haustein, ließ sich schon vorab feiern. Herausgekommen ist natürlich nichts, außer einer Lockerung der verdichteten Erde und viel heißer Luft.

Jetzt buddelt ein anderer Sachse, diesmal jedoch bei uns im Tal. Schon länger, wie man hört, sucht er in der Münzstraße nach dem verwunschenen Zimmer, obwohl gerade in Barmen, einer ähnlich strukturarmen Region wie Sachsen, so viele Wohnungen leer stehen. Für den Chef des Gebäudemanagements, Hans-Uwe Flunkert, klingt die Geschichte zwar "abenteuerlich". Trotzdem erteilt er dem windigen Hobbyforscher, der anonym bleiben möchte, die Bohrgenehmigung in einem denkmalgeschützten Gebäude. Wahrscheinlich haben die Beiden sich schwarz vermummt und heimlich im dunklen Kanalnetz konspirativ getroffen und erst einmal ein paar gruselige Räubergeschichten ausgetauscht. Und dann hat Flunkert gegen Beteiligung am Erlös des Bernsteinzimmers sein Einverständnis gegeben. Natürlich zum Wohle der notleidenden Stadt.

Sollte wider Erwarten das Bernsteinzimmer nicht in der Münzstraße liegen (rekonstruiert kann man es seit 2003 ohnehin im Katharinenpalast bei Puschkin bewundern), hat der namenlose Sachse noch eine weitere, famose Idee. In der längst zugemauerten, zweiten Röhre des Tunnels Schee soll wohl der Rest des Kunstschatzes vor sich hin modern. Da, wo höchsten einmal die Überreste eines ausgedienten 60er-Jahre Badezimmers im Gebüsch liegen, vermutet der Fantast den Bernsteinschatz.

Doch spätestens beim Tunnel Schee erregt sich nicht nur des Volkes Zorn. Wo Umweltorganisationen eine schützenswerte Fledermauspopulation bedroht sehen, soll nämlich bald geradelt und gewandert, aber nicht gebohrt und gebuddelt werden.

Und so wird sich der fossile Geheimniserforscher beim Tunnel mit ganz anderen Kalibern auseinandersetzen müssen als Flunkerts Gebäudemanagement. Nämlich mit der Wuppertal Bewegung, dem BUND und dem Stadtoberhaupt. Das wird kein Zuckerschlecken, wenn Oberbürgermeister Peter Jung in charmanter Begleitung von Carsten Gerhardt und Jörg Liesendahl bei herrlichem Wetter am Vatertag auf der Draisine anrückt, um, eingedeckt mit reichlich Trassenbier, den Tunnel und die Fledermäuse vor dem Sachsen zu beschützen. Die Herrschaften machen nämlich keine Gefangenen. Aber ruhig Blut. Höchstwahrscheinlich hat der "Gelehrte" aus den neuen Bundesländern nur ein paar Flaschen Bernstein zu viel geleert. Denn der übermäßige Genuss des gleichnamigen Bieres der Brauerei Schwelm führt im Extremfall zu einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand. Macht also schwindelig und schmerzfrei.

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