Forschung Schneller lesen — ist das wirklich lernbar?

Ralph Radach, Professor für Psychologie an der Bergischen Universität Wuppertal, erforscht seit einigen Jahren das Thema Schnelllesen, das in Kursen große Beliebtheit erfährt.

Forschung: Schneller lesen — ist das wirklich lernbar?
Foto: BUW

Wuppertal. Mit der Anerkennung des Schnelllesens verhält es sich sehr eigenartig: Zum einen feiern Kurse, Bücher und neuerdings Apps große Erfolge, die Nachfrage ist da. Zum anderen will die Wissenschaft kaum etwas davon wissen. In der Psychologie folgt man dem Grundsatz des Speed-Accuracy-Trade-Offs, der besagt, dass jede geistige Tätigkeit, die schneller ausgeführt wird, gleichzeitig auch mit mehr Fehlern verbunden ist. Dies wird oft auch für das Lesen angenommen, nach dem Motto: Wer schneller liest, versteht bald nichts mehr. Das will Prof. Dr. Ralph Radach, Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Biologische Psychologie an der Bergischen Universität Wuppertal so nicht stehen lassen: Er erforscht das Thema bereits seit einigen Jahren.

Zum ersten Mal stieß Radach in seiner Studienzeit, in den 1980er Jahren auf das Thema. „Das Schnelllesen hatte sofort einen großen Reiz für mich, zumal ich damals auch wirkliche Verbesserungen bei mir selbst bemerkte“, so Radach. Die Erfolge verflogen aber wieder mit der Zeit. Erst viel später, als Radach sich bereits als Wissenschaftler im Bereich der Leseforschung etabliert hatte, kam er wieder auf das Schnelllesen. „Mich hat die Frage interessiert, warum die Kurse über Jahrzehnte so erfolgreich sein können, die Forschung sich des Themas aber weitgehend verweigert“, sagt Radach. Dabei habe er nicht vor, die Grundlagen der Entwicklungsforschung und der Kognitionspsychologie umzustoßen. „Der Speed-Accuracy-Trade-Off ist eine Tatsache. Trotzdem gibt es Methoden, mit denen sich die Lesegeschwindigkeit erhöhen lässt, ohne dass die Verständnisleistung darunter leidet.“

Dabei sei das Wichtigste für Interessierte, an einen seriösen Kursanbieter zu geraten. „Und das sind viele, aber bei weitem nicht alle.“ Seine Untersuchungen auf dem Gebiet hätten ergeben, dass es bei moderatem Aufwand — etwa ein bis zwei Wochen Übung - für Menschen mit mittlerer Lesegeschwindigkeit und Verständnisleistung durchaus möglich sei, ihre Leistung um das eineinhalb- bis zweifache zu verbessern. Danach muss die erlernte Technik weiter geübt werden.

Fünf Kriterien gebe es, die den Erfolg des Schnelllesens begünstigen: Nämlich erstens das Einbetten des Lernprozesses in einen Kontext. „Die Absicht ist entscheidend für den Informationsgewinn. Man sollte sich vorher fragen, ob, und wenn ja warum man einen Text wirklich lesen muss“, so der Leseforscher. „Kurz gesagt: Kontext, Planung, Nachbereitung sind wichtig.“

Zweitens dürfe die Geschwindigkeit beim Lesen nur schrittweise erhöht werden. „Tempo und Verständnisleistung dürfen nicht entkoppelt werden“, so der Experte.

„Als Drittes, und das ist der Schlüssel zum Erfolg, muss sich das Lesen von einem einzelheitlichen zu einem ganzheitlichen Prozess entwickeln.“ Im Allgemeinen läsen die meisten Menschen einen Text Wort für Wort, oder noch kleinteiliger, Morphem für Morphem. Wer beim Lesen Wörter in Sinneinheiten organisieren kann, kann Informationen besser aufnehmen. Die drei Wörter „der große Baum“ müsste man idealerweise nicht einzeln, sondern als Einheit lesen.

Der vierte Punkt, den Radach empfiehlt, sei das Vermeiden von negativen Lesegewohnheiten. „Viele haben sich ein inneres Mitlesen angewöhnt, eine innere Stimme.“ Und das bremse den Lesefluss. Seinen Ursprung habe diese Angewohnheit in der Schule: Dort lese man die ersten ein bis zwei Jahre fast nur laut. Wenn dann plötzlich das stille Lesen geübt werde, erkläre oft niemand den Schülern, dass es da einen Unterschied gibt. Auch übermäßiges Zurückblicken sei hinderlich.

Als letzten Punkt betont Radach, dass unbedingt auf Übungen verzichtet werden solle, die nicht dem Stand der Wissenschaft entsprechen. „Augentrainingsübungen, sogenannte Optimierung der Blickbewegungen, das Verfolgen von Schlangenlinien — all das sind aberwitzige Methoden, die rein gar nichts bringen.“ Ähnlich verhalte es sich mit Übungen zur Blickspannenerweiterung. „Die Blickspannenerweiterung entwickelt sich mit dem ganzheitlichen Lesens, das ist keine Methode, die vorab schon mal geübt werden kann.“ Man müsse gut auswählen auf dem Markt.

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