Vor 80 Jahren starteten Züge ins Ghetto Rundgang erinnert an deportierte Juden aus Wuppertal

Wuppertal · 200 Juden und Jüdinnen aus dem Bergischen Land wurden vor 80 Jahren ins Ghetto Litzmannstadt abtransportiert wurden. Daran erinnerte ein Rundgang.

 Der Gedenkrundgang begann auf dem Döppersberg vor dem Gebäude der Reichsbahndirektion, von der aus Deportationen organisiert wurden. Foto: A. Fischer

Der Gedenkrundgang begann auf dem Döppersberg vor dem Gebäude der Reichsbahndirektion, von der aus Deportationen organisiert wurden. Foto: A. Fischer

Foto: Fischer, Andreas H503840

„Sage nie, du gehst den letzten Weg, auch wenn bleierne Himmel die blauen Tage verdecken“, sang Roswitha Dasch gegen den kalten Wind und vorbeifahrende Züge an. Ergriffen lauschten die zwei Dutzend Menschen, die gekommen waren, um an die 200 Juden und Jüdinnen aus dem Bergischen Land zu erinnern, die vor 80 Jahren ins Ghetto Litzmannstadt abtransportiert wurden. Der Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal und „Mizwa – Zeit zu handeln“ hatten zu dem Gedenkrundgang eingeladen. Gekommen waren auch Oberbürgermeister Uwe Schneidewind sowie Leonid Goldberg, Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal.

In der Reichsbahndirektion wurden Transporte organisiert

„Es gibt relativ viele Informationen über diese 200 Menschen, aber nur sehr wenige Fotos“, erzählte Historiker Stephan Stracke und hängte die vorhandenen Fotos am Aufgang zur ehemaligen Reichsbahndirektion am Döppersberg auf. „Die ganzen Sondertransporte der Juden hier in der Gegend wurden durch die Reichsbahndirektion Wuppertal organisiert, vor aller Augen. Keiner hat etwas gesagt, und nach 1945 gab es fast keine Strafen für die Organisatoren“, ärgerte sich Stracke.

Uwe Schneidewind sagte zu, vor dem Gebäude der Bahndirektion, das vielleicht bald städtische Ämter beherbergen wird, eine Informationstafel über die Judentransporte anbringen zu lassen. „Wenn man hier steht, wird einem das „vor aller Augen’ sehr deutlich bewusst“, bestätigte er und dankte dem Verein für seine Recherchearbeit. Gleichzeitig warnte der Oberbürgermeister vor einer gefährlichen „schleichenden Verschiebung dessen, was man als normal erachtet“.

Menschen schrien aus den Zügen nach Wasser

Exakt 200 Menschen mussten sich am 26. Oktober 1941 am Steinbecker Bahnhof einfinden. 22 davon stammten aus Remscheid, 16 aus Solingen. Die Männer, Frauen und Kinder wurden zunächst zum Schlachthof in Düsseldorf-Derendorf gefahren, wo sie zusammen mit vielen anderen die Nacht auf dem bloßen Boden verbrachten. Einen Tag später wurden insgesamt 1003 Juden nach Litzmannstadt deportiert, wo in aller Eile ein Ghetto eingerichtet wurde.

Die Wuppertaler Geschwister Siegfried, Laura und Hedwig Michelsohn, die auch auf der Deportationsliste standen, nahmen sich vorher das Leben. Sie ahnten, was auf sie zukommen würde. Auch Selma Arronge und Emma Stern wählten den Suizid statt der Nazifolter. „Einige der Deportierten starben schon in den ersten Tagen im Ghetto, die meisten wurden ein halbes Jahr später nach Kulmhof deportiert und dort mit dem Gas von Dieselmotoren ermordet“, berichtete Stracke. Von den 1003 Menschen dieses Transports überlebten nur 13 Personen, davon drei aus Wuppertal.

Stracke betonte, dass die Bürger durchaus einiges von diesen Transporten mitbekommen hätten. So wären in Wuppertal immer wieder Züge voller Juden aus den Niederlande beim Zwischenstopp abgestellt worden: „Die Leute darin haben nach Wasser geschrien.“

Judenhaus musste immer offen für die Gestapo sein

Die nächste Gedenkstation war die Stefanstraße 9, wo früher ein jüdisches Gemeindehaus stand. Die Nazis richteten dort ein Judenhaus ein, in dem sehr viele Juden zusammengepfercht wurden. „Sie haben dort unter schlimmen Bedingungen gelebt. Und die Türen mussten immer offen bleiben, damit die Gestapo jederzeit kommen konnte“, erklärte Stracke.

Gut 1000 jüdische Menschen lebten 1939 in Wuppertal. Manchen von ihnen gelang rechtzeitig die Flucht. „Aber sie konnten das Land nur verlassen, indem sie ihr Vermögen zurückließen“, betont der Historiker. Er hat gerade wieder einen Kontakt geknüpft zur Familie Aronowitz, die den Holocaust überlebt hat.

Am Mahnmal auf dem Bahnsteig der Station Steinbeck legten die Gäste Blumen und kleine Steine nieder und zündeten Kerzen an. Roswitha Dasch sang drei melancholische jüdische Lieder zur Gitarre und Leonid Goldberg dankte für die Gedenkveranstaltung.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort