Literatur Roman: Hass und Liebe in der Wuppertaler Hochhaussiedlung

Wuppertal · Maryam Gardizis erstes Buch spielt im Wuppertaler Süden und befasst sich mit extremen Gefühlen.

 Maryam Gardizi

Maryam Gardizi

Foto: Taina Schneider

„HassLiebe“ nennt Maryam Gardizi ihr erstes Buch – ein deutlicher Hinweis an die Leser, dass sie sich auf starke Emotionen gefasst machen müssen. Wie schnell Gefühle „umschlagen“ können, von einem Extrem zum anderen, bekommt die Ich-Erzählerin schon als Kind zu spüren. Was nicht zuletzt daran liegt, dass sie als Tochter afghanischer Eltern im Deutschland der achtziger Jahre groß wird.

Der Ton in der Hochhaussiedlung im Wuppertaler Süden ist nicht nur rau, sondern immer wieder auch „voller Hass“. Die Erzählerin muss erkennen, dass sie allein durch ihr Aussehen zur Zielscheibe von Aggressionen wird. Dass sie und ihre Freunde – ebenfalls Migrantenkinder – in den Augen mancher Nachbarn niemals dazugehören werden. Diese traurige Wirklichkeit setzt dem Mädchen zu. Es weckt aber auch ein Gerechtigkeitsgefühl, das ihr den Rücken stärkt. Der Leser bleibt an ihrer Story dran, weil die bedrückenden Erlebnisse durch Wortspiele und ironische Zuspitzungen ausbalanciert werden. Zudem geht es in hohem Tempo weiter – hinein in die Pubertät und hin zum Erwachsenwerden.

Ihr Debütroman ist für die 1981 geborene Autorin Teil eines großen Entwicklungsromans. „Der erste Band gehört in eine Reihe von vier Büchern, die ich ‚Leben zwischen Welten‘ nenne“, sagt Gardizi, die in Wuppertal aufgewachsen ist und mittlerweile in Bonn lebt. Am Ende von „Leben zwischen Welten“ münde die Hassliebe denn auch in „Selbstliebe“. „Dann hat die Ich-Erzählerin gelernt, sich selbst zu akzeptieren.“

Der Roman hat
autobiografische Züge

Gardizis Lust am Erzählen hat sich schon früh ausgeprägt: „Als ich in der dritten oder vierten Klasse war, habe ich Gedichte und Geschichten geschrieben. Ich habe aber nie daran gedacht, sie jemandem zu zeigen.“ Später waren das Lehramtsstudium und die Arbeit als Lehrerin für Deutsch und Englisch wichtiger. Den Entschluss, einen autobiografischen Roman zu schreiben, fasste sie erst nach dem Tod des Vaters 2016. Nachdem sie sich jahrelang um ihn gekümmert hatte, eröffnete sich ihr nun eine „völlig unbekannte Freiheit, mit der ich nicht umgehen konnte. Mir blieb plötzlich sehr viel Zeit für mich und meine Gedanken. Stift und Papier haben mir geholfen, meinen vollen Kopf zu sortieren.“

Auch die Protagonistin von „HassLiebe“ braucht Zeit, um Gedanken und Gefühle zu ordnen. Für lange Zeit färbt die „toxische Verbindung“ der Eltern auf ihre eigenen Beziehungen ab.

Auf der Suche nach Zugehörigkeit und Geborgenheit heiratet sie einen muslimischen Mann. Als Ehefrau ist sie darum bemüht, sich seinen moralischen Vorstellungen anzupassen – und gerät dadurch in eine Identitätskrise. Denn für ihn ist sie nicht „muslimisch“ genug. Sie ist ihm zu „deutsch“.

So schmerzhaft der Ablösungsprozess vom Ehemann auch ist – dass er ausgerechnet beim ersten England-Trip der Erzählerin beginnt, ist ein Highlight des Textes: „London kam flüsternd von hinten und nahm mir meine Käseglocke vom Kopf: Mensch, Mädchen, leb endlich! […] Ich vergaß mich endlich für einen Abend und wurde zu dem neunzehnjährigen Mädchen, das ich eigentlich hätte sein müssen.“

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