Kirchenkolumne „Was glauben Sie denn?“ Kirche digital geht nicht? Geht doch!

Serie | Wuppertal · Früher waren digitale Angebote der Kirche eher selten. In Zeiten der Pandemie werden sie häufiger – und beliebter.

 Holger Pyka ist Pfarrer in der Gemeinde Uellendahl-Ostersbaum.

Holger Pyka ist Pfarrer in der Gemeinde Uellendahl-Ostersbaum.

Foto: Reiter/MALTE REITER

 „Du musst dein Mikrofon anmachen!“ Vor 2020 habe ich diesen Satz, glaube ich, kein einziges Mal in meinem Leben gesagt. Seit einem Jahr nun andauernd. Videokonferenzen sind schon lange Alltag, die Menschen in den Kacheln vertraut, die üblichen Probleme bekannt: „Könnt ihr mich jetzt sehen?!“ Genauso routiniert grüße ich mittlerweile in die Kamera statt in die Gesichter der Gemeinde, wenn ich ein Gottesdienstvideo aufnehme.

Bis vor einem Jahr waren digitale Angebote der Kirche eher etwas für die Nerds in den Gemeinden. Ein nettes Gimmick, mehr nicht, auf keinen Fall etwas, für das man besondere Mühe aufgebracht oder gar Geld in die Hand genommen hätte. „Das ist ja nicht echt“, hieß es oft. Im ersten Lockdown hatten wir plötzlich keine andere Wahl. Und wir haben gemerkt: Es kann doch echt sein. Anders als sonst, ja. Aber berührender und verbindender, als wir vorher gedacht hätten. Und offensichtlich interessanter – die Klickzahlen von kirchlichen Youtube-Videos (und ja, ich weiß natürlich, dass die nur begrenzt aussagekräftig sind) bewegen sich oft in Bereichen, von denen wir bei analogen Gottesdiensten nur träumen können.

Ich glaube nicht, dass digitale Formate die Lösung für alles sind. Auch, wenn ich im vergangenen Jahr oft überrascht war: Über Konfirmandinnen und Konfirmanden, die stolz ein Video aus ihrer Gemeinde teilen. Über die 93-Jährige, die anruft und erklärt, dass sie natürlich den Gottesdienst gesehen hat, aber noch etwas Hilfe braucht, um ihn auch kommentieren und an ihre Familie weiterleiten zu können. Über die Kreativität, die Gemeinden und Mitarbeitende aufgebracht haben.

Für vieles gibt es trotzdem keine dauerhaften digitalen Lösungen: Pflegekräfte können nicht ins Homeoffice, ein Segen fühlt sich mit Handauflegung anders an als auf dem Bildschirm, und viele Menschen, längst nicht nur ältere, sind von der digitalen Entwicklung abgehängt und drohen in Einsamkeit zu versinken.

Aber wir haben vieles gelernt im vergangenen Jahr, und zwar nicht nur über Kameraführung, Videokonferenzen und Klickzahlen. Ich habe gelernt: Gottes Wort lässt sich durch einen Lockdown nicht einfach so aufhalten. Es sucht sich seine Wege. Wenn Gott das ganze Universum in seiner Hand hält, dann gilt das auch für den digitalen Kosmos. Wenn wir sagen, dass Jesus in die Welt gekommen ist, weil sie es bitter nötig hatte, dann ist die virtuelle mitgemeint. Die Kirche braucht heutzutage das Internet. Aber ich glaube, auch das Internet braucht die Kirche. Oder zumindest Menschen, die Jesus dorthin folgen, wo er schon längst ist. Die sich nicht von Cybermobbing, Shitstorms und Datenkraken abschrecken lassen und die virtuelle Welt mit anderem füllen: Mit Gebeten und Liedern, mit Segen und Zivilcourage, mit Vergebung und mit Widerspruch dort, wo es jeweils nötig ist. Auch nach dem Lockdown, „nach Corona“, wann und wie immer das sein wird.

 Und trotzdem. „Du musst dein Mikro anmachen!“ – Ich hoffe, dass ich diesen Satz 2021 nicht mehr so oft sagen werde …

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