Prozessauftakt: Mordversuch beim Bruderkuss?

Warum griff ein 39-Jähriger seinen Bekannten mit einem Teppichmesser an? Ging es um die Tageseinnahmen eines Kiosks? Vor dem Landgericht steht Aussage gegen Aussage.

Wuppertal. Die Nacht des 4. Januar. Wuppertal ist eingeschneit. An der Benzstraße am Arrenberg sitzen zwei Männer in einem VW Passat nebeneinander und rauchen. Der eine — ein 39 Jahre alter Türke — erzählt zum x-ten Mal seine Trennungsgeschichte. Von den beiden Töchtern, der Geliebten, der Ehefrau. Der andere — ein 31 Jahre alter Kioskbesitzer, der die Tageseinnahmen auf dem Rücksitz platziert hat — hört zu und gibt seinem Bekannten den Ratschlag, endlich eine Entscheidung zu treffen.

Nach türkischem Brauch verabschieden sich die Männer mit einem Bruderkuss. Da spürt der Kioskbesitzer einen kleinen Schmerz am Hals, sieht Blut auf seiner Jacke. Ein Handgemenge, noch ein Schnitt auf der anderen Seite, wieder Blut. Der 31-Jährige wehrt sich, die beiden Männer rutschen vom Fahrersitz auf die Straße. Der Kioskbesitzer schreit um Hilfe, hält mit einer Hand seine blutende Wunde am Hals zu, mit der anderen wehrt er das Messer ab. So schildert es der Mann im Zeugenstand.

Sein Bekannter sitzt auf der Anklagebank, blickt zu Boden, schüttelt hin und wieder kaum merklich seinen Kopf. Versuchter Mord wird ihm vorgeworfen. Das kann lebenslang bedeuten. Er befindet sich in U-Haft. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der 39-Jährige seinen Bekannten wegen des Geldes umbringen wollte. Das sieht auch das Opfer so. Der Angeklagte habe ihn am Tattag mehrfach nach den Tageseinnahmen gefragt.

Der 39-Jährige gibt den Übergriff im Auto zu. Er sagt Sätze wie: „Wegen Geld bringt man doch niemanden um.“ An das Teppichmesser kann er sich nicht erinnern. Auch nicht an das Blut, an die Schreie, an das Um-Hilfe-Hupen des Kioskbesitzers, den er in den vergangenen Jahren nahezu täglich besucht hat. Das Messer will er dabei gehabt haben, um seinem Bekannten im Kiosk beim Öffnen und Ausräumen von Kartons zu helfen. Das Opfer dementiert eine solche Hilfe. Der Angeklagte sagt, seine Lebenssituation sei ihm in der Tatnacht bewusst geworden — zwei Tage nach seinem Geburtstag. Er leide unter der Trennung. Vorher war er für eine Versicherung im Außendienst unterwegs, war erfolgreich, hatte sein Auskommen. Das ist vorbei. Er würde sich gern entschuldigen und alles rückgängig machen, sagt er.

Im Saal befinden sich fast ausschließlich Angehörige des Opfers. Immer, wenn es bei der Beweisaufnahme ums Geld geht — immerhin mehr als 4000 Euro — , schütteln sie den Kopf und lächeln vielsagend. Der Prozess wird fortgesetzt.

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