Justiz Mit fremdem Kind vor Zug gesprungen -„Gott sei dank hat der Zug gebremst“

Wuppertal · Am Dienstag begann der Prozess gegen den Mann, der mit einem Kind vor die S-Bahn in Wuppertal sprang. Der Vater berichtet vom Schockmoment.

Das Landgericht Wuppertal.

Das Landgericht Wuppertal.

Foto: picture alliance / Bernd Thissen/Bernd Thissen

Das Geschehen schockiert alle, die davon hören: Ein Mann greift sich am Bahnsteig ein fremdes Kind und springt mit ihm vor einen fahrenden Zug. Wie durch ein Wunder wird der Junge kaum verletzt, auch der Täter nicht. Dieser muss sich jetzt vor dem Landgericht wegen versuchten Mordes verantworten. Er ist psychisch krank und kann nicht viel zur Aufklärung beitragen. Das Gericht muss entscheiden, ob er dauerhaft in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird.

Am 12. April hatte der 23-Jährige den Fünfjährigen gepackt, der mit seinen Eltern und weiteren Familienangehörigen auf Gleis fünf am Hauptbahnhof wartete. Mit dem Kind auf dem Arm sprang der Mann auf die Gleise, lief auf die hereinfahrende S 9 zu. Legte sich dann blitzschnell zwischen die Schienen. Der Lokführer machte eine Schnellbremsung, die Bahn fuhr einige Meter über Mann und Kind hinweg, blieb dann stehen. Weil an der Zugspitze 40 Zentimeter Luft bis zum Boden bleiben, wurde der Junge nur leicht gestreift.

Die Eltern sind noch immer traumatisiert. Die Mutter (24) schafft es nicht, von dem Geschehen zu berichten, sie läuft weinend aus dem Saal. Das Gericht verzichtet auf ihre Aussage. Der Vater (34) hat zuvor erzählt, dass er erst durch den Schrei seiner Frau aufmerksam wurde. „Gott sei Dank hat der Zug gebremst. Ich bin dem Lokführer mein Leben lang dankbar.“

Vater zieht den Jungen aus dem Gleisbett

Er sei sofort zu dem bereits stehenden Zug gesprungen und habe nach seinem Kind gesucht. „Papa, Papa, hier!“, habe der Junge gerufen. Von der Seite habe er ihn gesehen, konnte ihn aber zuerst nicht nicht herausziehen, weil der Mann ihn noch mit beiden Armen umschlungen hielt. Ein Tritt habe dann geholfen: „Er hat losgelassen. Ich konnte meinen Sohn rausziehen.“

Leichte Schürfwunden hatte der Junge. Und bis heute Panikattacken, wenn sich Menschen in seiner Nähe schnell bewegen. „Dann klammert er sich an uns und weint“, berichtet der Vater. Auch Zugfahren wolle der Junge nicht mehr: „Früher ist er gern Zug gefahren.“ Das Sozialpsychiatrische Zentrum betreut die Familie.

Der 23-jährige Beschuldigte bestätigt die Vorwürfe: „Das stimmt im Großen und Ganzen“, übersetzt der Dolmetscher die Aussage des 23-Jährigen, der aus Asien stammt. Er ist ein schmaler junger Mann, der mit großen Augen unruhig und verängstigt von einem zum anderen und durch den Raum blickt.

Auf die Frage des Vorsitzenden Richters antwortet er weitschweifig und unzusammenhängend. Warum er das getan hat? „Man hat mich sehr unter Druck gesetzt“, sagt er, „ich sollte von hier verschwinden.“ Er lebte in einem Asylbewerberheim in Gelsenkirchen. „Ich höre ständig Stimmen“, sagt er auch. Was? Dass er die falschen Nahrungsmittel esse.

Ob die Stimmen ihm gesagt hätten, dass er nach Wuppertal fahren solle, will der ungeduldige Richter wissen. „Nein“, sagt der Angeklagte, aber er habe mit einem Bekannten Bier getrunken. Eine Blutprobe bei ihm hatte null Promille gemessen.

Der Richter zitiert aus einem psychiatrischen Gutachten, dass er von Geistern erzählt habe, und davon, dass er ein Opfer bringen wollte. Dem widerspricht der Angeklagte. Auf weitere Nachfragen kommt erneut die Aussage, dass man ihn unter Druck gesetzt habe.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der 23-Jährige wegen seiner psychischen Erkrankung schuldunfähig ist und nicht bestraft werden kann. Aber aufgrund des psychiatrischen Gutachtens geht sie davon aus, dass von ihm weitere erhebliche Straftaten zu erwarten sind und er deshalb gefährlich für die Allgemeinheit ist. Daher soll er in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik untergebracht werden. Darüber muss das Gericht entscheiden. Das Urteil wird für Donnerstag erwartet.

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