Osterfest Muss es denn der Urlaub auf Malle sein?

Gastbeitrag Prof. Kurt Erlemann plädiert für Eigenverantwortung und Zuversicht in der Pandemie.

 Prof. Kurt Erlemann ist evangelischer Theologe an der BUW.

Prof. Kurt Erlemann ist evangelischer Theologe an der BUW.

Foto: UniService Transfer

Ein Jahr Corona-Pandemie, ein Jahr politische Ratlosigkeit, ein Jahr voller Frustration und Verzweiflung bei unzähligen Betroffenen in Wirtschaft, Gesundheitswesen und ganz privat. Ein Jahr, das alles infrage zu stellen droht, was in 75 Jahren Demokratie in Deutschland an verlässlichen Strukturen und Wertvorstellungen gewachsen ist. Ein Jahr, in dem der aufgebaute Wohlstand durch den Zusammenbruch der wirtschaftlichen Infrastruktur und massiver Schuldenaufnahme wegzubrechen droht.

Im folgenden Artikel interessiert mich nicht, wer Schuld am Debakel hat. Mich interessiert viel mehr: Was ist passiert, dass Menschen, selbst viele, die sich bislang als aufrechte Demokratinnen und Demokraten verstanden haben, auf die inneren und zum Teil auf die äußeren Barrikaden gehen? Ich bringe es auf diesen Punkt: Die Menschen sind ratlos, wütend, gewaltbereit und verzweifelt, weil sie keine Perspektive sehen. Weil der bisher so verlässliche Rechts- und Wohlfahrtsstaat nicht mehr funktioniert, weil sich das Gefühl kollektiver Ohnmacht aufbaut, weil den Menschen keine Selbstverantwortung zugetraut wird. Das alles hört sich so an, als hätten diejenigen Recht, die der Politik Komplettversagen im Pandemie-Management vorwerfen. Die Bundestagswahl im Herbst droht zum Debakel der früheren Volksparteien zu werden.

Nun bin ich selbst weit davon entfernt, Öl ins Feuer gießen zu wollen. Ich wünsche mir nichts mehr als langfristige Konzepte und Stabilität, nichts mehr als ein grundsätzliches Bekenntnis der Mehrheit zur Demokratie. Der Aufschrei der Frustrierten und Wütenden ist Symptom einer selbstzufriedenen Wohlstandsgesellschaft, die den Staat als puren Dienstleister ansieht, der eine Bringschuld zu leisten hat, während die Bürgerinnen und Bürger mit offenen Händen abschöpfen, was es abzuschöpfen gibt, und ihre Freiheit ausleben auf Teufel komm raus. Und wehe, dieser Staat funktioniert nicht so, wie ich mir das wünsche, und mutet Einschränkungen zu – das geht gar nicht, da muss man sich wehren, auch wenn es nur in Form eines kollektiv-anonymen Shitstorms bis hin zu Morddrohungen zu gehen scheint.

Politikerinnen und Politiker als Versager zu beschimpfen, während man selbst nicht bereit ist, irgendwelche Verantwortung zu übernehmen, ist billig, ja gefährlich. Und es übersieht, dass die Pandemie auch die Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft an die Grenzen bringt. Nicht einmal Epidemiologinnen und Virologen haben das Virus „im Griff“; auch sie werden wöchentlich von neuen Szenarien überrascht. Und erst recht müssen die Politikerinnen und Politiker in unserer Demokratie Woche für Woche die Quadratur des Kreises vollbringen, um allen Bedürfnissen  gerecht zu werden.

Ich bin ehrlicherweise dankbar dafür, dass ich diese Last nicht tragen muss, dass ich mich in mein Homeoffice zurückziehen kann in der Hoffnung, selbst mit einem blauen Auge davonzukommen. Ich fühle mich denjenigen verbunden, deren Existenzgrundlage mehr und mehr dahinschmilzt, deren Altersvorsorge in diesen Monaten zusammenbricht oder die an der Grenze ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit angekommen sind.

In dieser Situation breche ich, gegen den medialen Trend, eine Lanze für alle Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft, die als Buhmänner und -frauen der Nation herhalten müssen. Lassen Sie sie ihre Arbeit machen, übernehmen Sie Selbstverantwortung, indem Sie die vielfältigen Hinweise, Empfehlungen und Warnungen erstnehmen! Überdenken Sie Ihre Werthaltungen – was ist wirklich wichtig in Ihrem Leben? Muss es der Urlaub auf Malle sein? Begeben Sie sich nicht auf das Stammtischniveau sozialer Medien, verstehen Sie sich als Vorbild! Zeigen Sie Zuversicht, verschenken Sie eher ein Lächeln mehr und lassen Sie sich nicht von der Angst regieren; Vorsicht ist geboten, ja! Und ansonsten verhilft Gottvertrauen bekanntermaßen zu großer Gelassenheit.

Ansonsten ist Dankbarkeit für so vieles, was uns das Leben auch in der Pandemie erleichtert und (über-)lebenswert macht, angezeigt: Dankbarkeit für ein einigermaßen funktionierendes Gesundheitssystem, Dankbarkeit für ein belastbares soziales Netzwerk, Dankbarkeit für die Vielen, die ihre Gesundheit riskieren, um alles am Laufen zu halten.  Dafür, dass es sich dieser Staat leisten kann, vieles aufzufangen, Dankbarkeit für Möglichkeiten, die bleiben, Dankbarkeit für die  Gesundheit, sofern sie vorhanden ist.

 Ich wünsche Ihnen allen ein frohes und gelassenes Osterfest in der Gewissheit, dass immer wieder neues Leben aufkeimt! Haben Sie Vertrauen und bleiben Sie gesund!

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