Neues Urteil zum Balkonwurf: Die Tränen des Opfers

Am Montag wurde ein türkischerFamilienvater zu vier Jahren Haft verurteilt. Das Opfer fühlt sich schuldig.

Wuppertal. Die junge Frau sitzt zusammengesunken neben ihrem Anwalt. Sie weint. Schon vor gut einem Jahr saß sie in ähnlicher Verfassung in einem Gerichtssaal ihrem Vater gegenüber. Der musste allerdings auch damals auf der Anklagebank Platz nehmen. Fakt ist: Der 43 Jahre alte Familienvater hat im September 2006 seine Tochter vom Balkon der elterlichen Wohnung im vierten Stock geworfen.

Dafür wurde der in der Türkei geborene Mann zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Am Montag musste aber nochmals verhandelt werden. Nicht über die Tat. Die ist rechtskräftig aufgeklärt. Fraglich war laut Bundesgerichtshof, ob sich der Vater nach dem Wurf aus acht Metern Höhe nicht doch noch um seine schwer verletzte Tochter gekümmert hat. Das kann sich strafmildernd auswirken.

So sagte der Vater aus, er habe seiner Frau kurz nach dem Wurf aufgetragen, den Notarzt zu verständigen. Auch will er zu seiner Tochter geeilt sein, ihr ein Kissen unter den Kopf gelegt und dem Rettungsteam beim Halten einer Infusionsflasche geholfen haben. Gegenteiliges war dem 43-Jährigen nicht zu beweisen. Familienangehörige, darunter die Mutter, die etwas zum Tattag hätten sagen können, machten von ihrem Schweigerecht Gebrauch.

Und das Opfer? 17 Jahre alt ist die junge Frau. Schon im ersten Prozess offenbarten sich ihre massiven Probleme. Pubertät, Drogen, Freiheitsdrang, aber eben auch Aufbegehren gegen den Traditionalismus des überforderten Vaters diagnostizierte seinerzeit das Gericht. Unter anderem war die Tochter gegen ihren Willen in der Türkei verheiratet worden. Die Zerrissenheit der 17-Jährigen war am Montag wieder deutlich zu spüren. "Ich fühle mich schuldig", sagte sie und, dass sie heute ihren Vater verstehen könne: "Ich bin ein schwieriges Kind."

Ihr Rechtsanwalt, Mustafa Kaplan, machte erneut dem Vater und der Familie den Vorwurf, nicht rechtzeitig professionelle Hilfe bei der Erziehung der Tochter in Anspruch genommen zu haben. Nicht seine Mandantin sei schuld daran, dass sich der Vater seit nunmehr 22 Monaten in U-Haft befindet. Trotzdem habe es seitens des Vaters keine Entschuldigung gegeben. Die Tochter habe die Initiative ergriffen, ihm geschrieben, ihn in der JVA besucht. Woher er wissen könne, ob er sich für die Tat entschuldigt habe, kam die Antwort des verbittert wirkenden Angeklagten.

Bei der Urteilsverkündung war die Tochter dann nicht mehr im Saal. Vier Jahre Haft wegen gefährlicher Körperverletzung lautet das Strafmaß. Der Vater bleibt vorerst in U-Haft. Richter Ralph von Bargen fand deutliche Worte: "Es gibt keine Entschuldigung für das besonders brutale und menschenverachtende Tatgeschehen." Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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