Nachruf: Als eine junge Frau unter dem Nazi-Terror zur Heldin wurde

Betti Alsberg starb im Alter von 92 Jahren am Donnerstag.

Wuppertal. Seit vier Jahren trägt ein kleiner Park im Briller Viertel den Namen „Paul-Alsberg-Platz“. Er erinnert an einen großen Wuppertaler — und an die wahnsinnige Selbstamputation des deutschen Volkes um viele seiner Besten durch die Nationalsozialisten. Paul Alsberg war damals der letzte jüdische Abiturient des heutigen Carl-Fuhlrott-Gymnasiums, wurde später ein international geachteter Professor für Archivkunde und Staatsarchivar in Israel, engagierte sich mit seiner Familie trotz furchtbarer Erlebnisse mit seinem Vaterland für die Aussöhnung zwischen Deutschland und Israel und die Partnerschaft zwischen Wuppertal und Beer Sheva.

Das Straßenschild zu seinen Ehren hätte jetzt, da auch seine Frau gestorben ist, den Zusatz verdient: „Verheiratet mit Betti, geborene Keschner, eine Heldin.“ Betti Keschner, 1920 in Hattingen geboren, und nach dem Umzug der Familie in Elberfeld aufgewachsen, wollte nach dem Besuch des Lyzeums Lehrerin werden, bekam jedoch wegen ihres jüdischen Glaubens keinen Studienplatz. Deshalb meldete sie sich in Breslau zu einem Vorbereitungskurs zum Studium am Lehrerseminar in Jerusalem an — ihre einzige Chance. Dort, am selben Jüdisch-Theologischen Seminar, hatte Paul Alsberg einen Platz im Rabbiner Seminar bekommen.

Der Tag, mit dem die Heldengeschichte der zierlichen und sehr zurückhaltenden Betti begann, war der 10. November 1938. Wie überall (auch in Wuppertal) hatten die Nazis in der Nacht zuvor die Synagogen in Breslau in Brand gesteckt. Zu den 30 000 Juden, die an diesem Tag in Deutschland willkürlich festgenommen wurden, gehörten in Breslau die männlichen Lehrer und Studenten, soweit sie sich im Seminargebäuden aufhielten.

Während alle verstört und gelähmt waren, handelte die 18-jährige Betti. Unter Vorwänden entlockte sie vom Wachpersonal die Information, dass Paul ins Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert werde. Anschließend hörte sie von zwei nicht verhafteten Professoren, die einzige Chance, die den Verhafteten bliebe, sei ein sofortiger Ausreiseantrag. Die notwendigen Formulare, Studienbücher und Leistungsnachweise für jeden befanden sich im versiegelten Gebäude. Betti löste das Siegel heimlich, holte alle Unterlagen und eine Schreibmaschine aus dem Gebäude, befestigte das Siegel neu und fertigte in den folgenden Tagen mit den verbliebenen Professoren für jeden Verhafteten die notwendigen Dokumente.

Mit den Unterlagen für Paul fuhr sie mit dem Zug nach Wuppertal. Zwei Monate später wurde Paul Alsberg, inzwischen lebensgefährlich erkrankt, von seiner Familie „freigekauft“ und aus Buchenwald entlassen. Einige Wochen später fuhren beide per Schiff nach Palästina. Dabei verliebten sie sich ineinander. Sie heirateten, bekamen zwei Kinder.

Betti Alsberg, geb. Keschner, starb am Donnerstag im Alter von 92 Jahren. Auf dem Friedhof von Omer bei Beer Sheva hat sie an der Seite ihres vor sechs Jahren verstorbenen Mannes ihre letzte Ruhe gefunden. Wuppertals Oberbürgermeister Peter Jung sprach ihrer Tochter Irith Ovadia-Alsberg, der Vorsitzenden des Freundeskreises Wuppertal in Beer Sheva, seine tiefe Anteilnahme aus.

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