Montessori-Schulen: Hilf mir, es selbst zu tun

In Wuppertal gibt es zwei Schulen, die nach der Pädagogik von Maria Montessori arbeiten.

Montessori-Schulen: Hilf mir, es selbst zu tun
Foto: Andreas Fischer

Svenja sitzt ruhig da, die Augen mit einer Binde verschlossen. Alexandra nimmt ihre Finger und fährt auf einer Karte einen großen Buchstaben aus rauem Material nach. „H“, erkennt Svenja sofort. Dann wechseln die beiden. Im Montessori-Unterricht geht es viel um das wörtliche „Begreifen“ des Lernstoffes. An der Grundschule Thorner Straße wird ein Drittel der Kinder nach den Ideen von Maria Montessori unterrichtet, zwei Drittel haben Unterricht in Jahrgangsklassen. In den vier Montessori-Klassen sitzen jeweils Schüler von der ersten bis zur vierten Klasse gemeinsam.

„Das Schöne ist, dass ich unglaublich viele Helfer in der Klasse habe“, sagt die Montessori-Lehrerin Petra Storms. Die älteren Kinder helfen den jüngeren, wer eine Aufgabe bewältigt hat, zeigt seinem Klassenkameraden, wie das Material funktioniert. Drei Stunden können die Schüler jeden Tag in der Freiarbeit selbst entscheiden, welchem Thema sie sich heute widmen wollen. Wobei die Lehrerin darauf achtet, dass sie trotzdem allen Schulstoff erarbeiten: „Die Regel ist, dass jedes Kind jeden Tag Mathe und Deutsch macht. Manchen sage ich auch ganz konkret, mit was sie heute anfangen sollen. Anderen kann ich etwas mehr Freiheit lassen“, erklärt die Lehrerin.

Für die Hausaufgaben gibt es Wochenpläne, für die Freiarbeit Lernpläne über sechs Wochen. In den Regalen an den Wänden der Klasse stehen gut sortiert die Materialien: Hier Mathe, da Deutsch, dort Sachkunde oder Englisch. Alleine, zu zweit oder dritt machen sich die Schüler an die Arbeit. Jasper und Jan haben Kegel, Kugel, Quader und andere geometrische Formen vor sich aufgebaut. Jetzt ordnen sie Bilder dazu: den Fußball zur Kugel, den Zylinder zum Zylinder. Dann überlegen sie, welche Beschreibung wohin gehört: „Hat die Form eines Trichters“ etwa passt zum Kegel. Und zum Schluss legen sie die korrekten Bezeichnungen an die Formen.

Die Viertklässlerinnen Mathilde und Mila multiplizieren im großen Zahlenraum: Vor ihnen liegt ein großes Zahlenbrett. Je ein buntes Quadrat stellt die Einer, Zehner, Hunderter und so weiter dar. Mit Zahlenstäbchen — aneinandergereihte Kügelchen — legen sie die Ausgangszahl in das Brett. Dann kommt an die Seite die Zahl, mit der sie multiplizieren sollen. Jetzt können sie Feld für Feld die einzelnen Ziffern ausrechnen und die Zahlenstäbchen ins Feld darüber legen. „Am Schluss könnt Ihr die Stäbchen schräg herunterschieben und dann das Ergebnis ablesen“, erklärt Petra Storms. Sie ist ständig in der Klasse unterwegs, um zu helfen und zu kontrollieren.

Lent macht ganz traditionell Minus-Aufgaben im Mathe-Heft, Erian baut aus Kugelstäbchen eine Pyramide, Lennard schreibt mit Hilfe eines Bilder-Würfels eine Geschichte. Ronja, Mia und Adriana sitzen gemeinsam vor einem großen Brett mit einem Aufsatz-Stern: In die Mitte schreiben sie ein Verb: „gehen“. Dann entwickeln sie anhand der Fragen außen herum eine Geschichte: Wohin, wie lange, warum, wie, womit? Jede Antwort auf eine dieser Fragen schreiben die Schüler auf und legen sie zu einem sehr langen Satz zusammen. Sie schreiben ihn in ihr Heft und bauen die Satzteile dann um. „Geht Lia wegen ihrer Mutter ins Schwimmbad?“ steht nun unter „Wegen ihrer Mutter geht Lia ins Schwimmbad.“ „Dadurch bekommt der Satz eine andere Betonung“, verdeutlicht Petra Storms.

Erstklässler legen Worte mit Buchstabenplättchen, Drittklässler üben die Fälle mit Kärtchen, auf denen Satzteile stehen. Vor der Pause treffen sich alle im Mittelkreis, der aus kniehohen Regalen gebildet wird. Auf Englisch zählen die Kinder durch, dann nennt eines das Datum, ein anderes den Wochentag auf Deutsch und Englisch. Eine kurze Koordinationsübung mit den Fingern bringt alle zur Ruhe. „Was habt Ihr Gutes zu erzählen?“, fragt die Lehrerin. „Dass ich heute so viel Mathe gemacht habe“, ruft Luis. „Dass wir den Kalender fertig bekommen haben“, freut sich Pauline.

Zum Abschluss liest noch ein Kind ein Problem aus der Klassenrats-Kiste vor. Ein Junge ärgert die neben ihm Sitzenden immer wieder und hält sie vom Arbeiten ab. „Wer hat einen Tipp für ihn, wie er besser bei sich bleiben kann?“, fragt Petra Storms. Mehrere Kinder empfehlen dem Jungen, sich nicht ablenken zu lassen. Und schon geht es in die Pause und anschließend zum Sportunterricht. Außer der Freiarbeit lernen die Kinder in Jahrgangsgruppen neue Themen in Mathe und Deutsch sowie Sachunterricht. Klassenarbeiten schreiben sie wieder in ihrer Klasse — jeder Jahrgang bekommt dann seine eigenen Aufgaben.

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