Missbrauch in einer scheinbar heilen Welt?

Ein Hausmeister soll die Tochter seines Arbeitgebers missbraucht haben. Der Fall wird bereits zum zweiten Mal verhandelt.

Wuppertal. Es waren schwere Vorwürfe, wegen derer sich ein 68 Jahre alter Rentner im Januar 2008 vor dem Wuppertaler Amtsgericht verantworten musste. Missbrauch eines Kindes in 484 Fällen warf die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten damals vor. Zwischen 1988 und 1993 soll der Mann die 1982 geborene Tochter seines Arbeitgebers sexuell missbraucht haben. Verurteilt wurde er schließlich wegen sexuellen Missbrauchs in 17 Fällen zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten.

Weil jedoch sowohl die Verteidigung - sie hatte Freispruch gefordert - und die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das Urteil eingelegt hatten, muss das Wuppertaler Landgericht nun erneut über den Fall entscheiden. Und abermals sitzt der heute 70-Jährige - ein ruhiger und seriös aussehender Mann mit kurzen weißen Haaren und Brille, Typ gebildeter Großvater - auf der Anklagebank.

Laut Anklage lebte der Rentner damals mit seiner Frau in einem Gästehaus auf dem Grundstück der Villa des Wuppertaler Fabrikanten-Ehepaares am Rande der Südstadt. Waren die Eltern von drei Kindern abends zu Geschäftsessen oder auch für längere Zeit verreist - man spricht von Reisen nach Südafrika, Davos, Sylt und die USA -, dann passte das "Hausmeister"-Paar auf die Kinder auf. Viele Jahre lang soll es in jenem Gästehaus dann zu den sexuellen Übergriffen auf das Mädchen gekommen sein.

Was das mutmaßliche Opfer - die Frau ist heute 27 Jahre alt - zu den Vorfällen sagt, wissen nur die Prozessbeteiligten. Die Öffentlichkeit wurde zum Schutz der Intimsphäre bei ihrer Aussage ausgeschlossen. Die Eltern der jungen Frau zeichneten nun während ihrer Zeugenaussagen das Bild einer heilen Welt, in der es viel um die Firma des Mannes und die repräsentativen Aufgaben ging, deren Fassade erst nach vielen Jahren zu bröckeln begann.

Von einem großen "Vertrauensverhältnis" sprach etwa die Mutter des mutmaßlichen Opfers. Ihre Tochter habe "immer da geschlafen, wenn wir nicht da waren und die Geschwister bei Freunden übernachtet haben". Oft habe die Frau des Angeklagten aber auch angerufen und gesagt: "Schickt uns doch die Kleine mal runter." Übernachtete die Tochter im Gartenhaus, habe sie ein Zimmer gleich neben dem Schlafzimmer des Hausmeister-Paares gehabt. "Sie ging so gerne dorthin", sagte die Mutter als Zeugin vor Gericht.

Als begabtes, lebhaftes und sehr fröhliches Kind beschrieben die Eltern - der Vater kämpfte während seiner Aussage mehrfach mit den Tränen und vermied jeden Blickkontakt zum Angeklagten - ihre Tochter in den ersten Lebensjahren. Später habe sich das geändert. Da sei sie oft abweisend und aggressiv gewesen. Aufgefallen sei den Eltern nur, dass sich die Tochter nie gerne in den Arm nehmen ließ und nie baden wollte. Gesagt habe sie in all den Jahren, wo die Familien sich gerne zum sonntäglichen Tee trafen - die Frau des Angeklagten buk dazu Kuchen - jedoch nie etwas.

Erst als die junge Frau viele Jahre später zunehmend unter psychischen Problemen litt - neben Schlafstörungen und Panik-Attacken brach sie mehrfach auf offener Straße zusammen - begannen die Eltern nachzuforschen. Doch sämtliche Untersuchungen ergaben nichts. "Es hat so lange gedauert, bis sie geredet hat, es war furchtbar quälend", berichtete die Mutter (62) dem Gericht.

Dann, nach einer weiteren Untersuchung in der Klinik in Herdecke 2004, sei es aus der Tochter herausgebrochen: "Ihr kennt mich gar nicht! Ihr wisst nichts von mir", habe sie unter Tränen geschrieen. "Dann hat sie gesagt, dass er sie angefasst hat", so die 62-Jährige weiter. "Mein Mann hat damals furchtbar geweint und gedroht, dass er ihn umbringen werde. Das hat so viel Leid über unsere Familie gebracht."

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