Wuppertal Thomas Michael Voss: „Tanzen hat mir das Leben gerettet“

Thomas Michael Voss fand im Tanz ein Ventil für seine Energie und Ausdruckskraft. Das hat ihn von Wuppertal nach London geführt.

Wuppertal: Thomas Michael Voss: „Tanzen hat mir das Leben gerettet“
Foto: Stefan Fries

Wuppertal. „Ist das nicht verrückt?“ Thomas Michael Voss staunt selbst über seinen Lebensweg: Er stammt aus schwierigsten Verhältnissen, floh davor ins Heim und ist heute als frei schaffender Choreograph in London so glücklich, seinen Traum leben zu können. Daran hätte er als Junge nie gedacht. Die Familie war arm, der Vater schlug zu, wenn er getrunken hatte. Thomas Michael Voss und seine drei Jahre jüngere Schwester litten, wenn er die Mutter verprügelte. „Das war schlimm.“

Dem 43-Jährigen kommen heute noch die Tränen, wenn er daran denkt. Mit 15 nahm er seiner Schwester an die Hand und ging zur Jugendschutzstelle. Die vermittelte sie in ein Heim auf Küllenhahn. Dem Heimleiter Erhard Seibt, der sie unbürokratisch aufnahm, ist Thomas Michael Voss heute noch dankbar. So wie er vielen Menschen Danke sagen will, die dazu beitrugen, dass er seinen Weg fand. Als der Heimleiter ihn fragte, welchen Sport er machen will, fiel Michael Thomas Voss seine Großmutter ein, die einst sagte, sie werde ihn in eine Tanzschule schicken. Denn als kleiner Junge hatte er auf Familienfesten viel getanzt.

Obwohl er der Heimleiter so einen Wunsch noch nie gehört hatte, durfte Thomas Michael Voss in die Tanzschule Schäfer. Der Junior-Chefin Gabi Schäfer fiel er bald auf, sie holte ihn in ihre Tanzformation. Seither weiß er, wie viel Spaß ihm Tanzen macht: „Das hat mir das Leben gerettet. Ohne Tanzen - ich weiß nicht, was mit mir passiert wäre.“

Er tanzte Turniere, verbrachte jede freie Minute mit Tanzen. Die Steptanztrainerin Annette Hohn sprach ihn eines Tages an: Ob er mal daran gedacht habe, Tanz zu studieren? Sie drückte ihm ein Magazin mit Adressen in die Hand. „Das war eine neue Welt. Nie hätte ich daran gedacht, dass man daraus einen Beruf machen kann.“

Er bewarb sich, bekam in München einen Studienplatz - und konnte die Studiengebühren von 400 Euro im Monat nicht zahlen. Todtraurig entschloss er sich zu einer Friseurlehre in einem renommierten Salon in Essen, war erfolgreich - aber: „Ich habe das Tanzen so vermisst!“

Er hatte das alte Magazin noch. Diesmal bewarb er sich international, ging erst für drei Monate an die Tanz-Abteilung der Universität Kapstadt in Südafrika, bestand danach das Vortanzen am Laban Center in London. Und zog nach London - „Ich konnte noch nicht mal richtig Englisch.“ Drei Jahre lang lernte er klassisches Ballett und modernen Tanz, Tanztheater und Improvisation, Musik und Tanzschrift. Jobbte als Tellerwäscher und Verkäufer, aß vor allem Porridge, weil das preiswert war. Noch an der Schule engagierte ihn eine Choreografin, er ging mit ihrer Truppe zwei Jahre nach Korea. Kehrte nach London zurück, arbeitete als freier Tänzer, wurde schließlich als Co-Choreograph für eine Oper engagiert.

„Seitdem vermittelt mich mein Agent nur noch als Choreograph“, sagt Thomas Michael Voss mit leuchtenden Augen. Er hat keine Berührungsängste, choreographiert Musikvideos, Werbespots, Film- und Theaterproduktionen, unterrichtet auch Standard- und Latein, arbeitet mit Behinderten und in einem Zentrum für Drogenabhängige und Obdachlose. Er ist überzeugt, dass Tanzen den Menschen guttut.

Dass er selbst darin aufgeht, ist nicht zu übersehen. Noch immer fühlt er sich seiner Heimatstadt verbunden, besucht regelmäßig die Tanzschule Schäfer. Mit seiner Schwester, die in Düsseldorf wohnt, kommt er oft extra nach Wuppertal, um Schwebebahn zu fahren. Dass Pina Bausch einst in Barmen probte, findet er „Wahnsinn. Ich hätte dort anklopfen können. Aber ich wusste ja nichts davon.“ Inzwischen kennt er alle ihre Stücke, hat einige Aufführungen in London gesehen, andere als Film. „Ich liebe Pina Bausch!“

Er träumt davon, eine eigene Kompanie zu haben - „ich habe endlos Ideen“, würde gern mal in Deutschland arbeiten. Und möchte jungen Menschen Mut machen, herauszufinden, was sie wollen, und das dann zu verfolgen.

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