Sportler der Woche Ein Sieg des Willens beim Schwebebahnlauf

Wenige Monate nach einer Beinamputation trat Sigrun Passelat über fünf Kilometer an.

 Erschöpft aber glücklich überquert die oberschenkelamputierte Sigrun Passelat beim Schwebebahnlauf nach fünf Kilometern mit ihren Begleitern die Ziellinie.

Erschöpft aber glücklich überquert die oberschenkelamputierte Sigrun Passelat beim Schwebebahnlauf nach fünf Kilometern mit ihren Begleitern die Ziellinie.

Foto: Monika Egli/ Agentur Simply Different/Monika Egli / Agentur Simply Different

Als Sigrun Passelat am Sonntag als letzte der 5540 Teilnehmer mit vier Begleitern ihres Teams vom Sanitätshaus Beuthel nach fünf Kilometern die Ziellinie am Engelsgarten überquerte, lief die Siegerehrung bereits und es waren nur noch wenige Zuschauer an der Strecke. Doch die, die es beobachteten, applaudierten frenetisch, denn die Leistung, die die 49-Jährige erbracht hatte, war einer Siegerin würdig. Sigrun Passelat ist die Erste, die den Lauf mit einer kompletten Beinprothese bewältigte.

In den 1:17:54 Stunden zuvor hatte sie mit unglaublichen Problemen gekämpft, zunächst mit der Prothese, die sie immer wieder ablegen musste, weil sie nass vom Schweiß war, dann mit der Erschöpfung. „Gerade darum habe ich es durchgezogen“, sagt Passelat. Sie wollte es sich, aber auch der Gesellschaft beweisen, dass es mit einer Behinderung möglich ist, am Leben teilzunehmen.

„Wir kämpfen für unser Leben und dafür, so akzeptiert zu werden, wie wir sind“, sagt die Frau aus Ronsdorf, die mit ihrer Geschichte von Leiden und Lebensmut bereits auf Instagram Beachtung gefunden hatte. Etwa die des Fotografen Matthias Sandau, der sich mit seiner Agentur Simply Different dafür einsetzt, dass Menschen, die früher Sport getrieben haben, dies auch nach einer Amputation mit einer adäquaten Prothese ermöglicht wird. Die Krankenkassen bezahlen solche Sportprothesen nämlich im allgemeinen nicht.

Sandau, der aus Bad Reichenhall kommt, begleitete Sigrun Passelat und deren Eskorte mit der Kamera. „Spätestens, als Sigrun ihre Prothese nach einem Kilometer zum ersten Mal abnehmen musste, ist etwas mit dem Team passiert. Alle hatten nur noch ein Ziel, sie ins Ziel zu bringen“, schildert er.

Welche Leistung das war, lässt sich wohl nur ermessen, wenn man Passelats Geschichte kennt. Früher spielte die gebürtige Kölnerin leistungsmäßig Badminton, entdeckte dann mit Mitte 30 den Laufsport für sich und wollte natürlich nicht mit dem Laufen aufhören, als sie 2013 durch Verschleiß ein künstliches Kniegelenk benötigte. Doch sie wurde im Krankenhaus mit dem MRSA-Keim infiziert, musste sich der ersten Amputation unterziehen, wobei ihr der Fuß umgekehrt an den Oberschenkel angesetzt wurde, um fortan als Knie zu dienen, an dem dann eine Unterschenkelprothese befestigt wurde. Ein halbes Jahr später die nächste Operation, denn der Knochen wuchs nicht an, und nun musste der Oberschenkel auf halber Länge amputiert werden. Dann im Dezember 2018 die Diagnose Knochenkrebs: „Da fing das ganze Szenario von vorne an. Aber ich habe mir gesagt, das Leben ist definitiv nicht vorbei“, berichtet Sigrun Passelat. Fünf Zentimeter Oberschenkelknochen und ein Stumpf von 17 Zentimetern sind ihr noch geblieben, wenig, um daran eine Prothese zu befestigen. Doch Passelat ging schon nach fünf Wochen wieder arbeiten, ist im Sanitätshaus Beuthel in der Orthopädietechnik aber auch als Prothesen-Model tätig.

Und dann die Idee am Schwebebahnlauf teilzunehmen - mit einer normalen Gehprothese, die noch dazu nicht optimal angepasst war. Ihre Begleiter, der Sanitätswagen der Johanniter und die Passanten an der Strecke, die mit Traubenzucker und Getränken aushalfen, gaben ihr - neben ihrem Willen - die Energie durchzuhalten. „Unter diesen Umständen wäre kein Behindertensportler gestartet“, ist Matthias Sandau sicher. Sigrun Passelat hat schon ein neues Ziel: nächstes Jahr mit einer Sportprothese mit Feder wieder teilzunehmen. Der Zuspruch, den sie erfahren hat, gibt ihr weiteren Auftrieb. Im Ziel gab es eine Umarmung von 10 000-Meter-Europameister Jan Fitschen und ein Foto mit Oberbürgermeister Andreas Mucke. Die größte Bestätigung war aber der Sieg über sich selbst.

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