Arbeitsagentur Kurzarbeit ist stärker gefragt als 2009 in der Finanzkrise

Wuppertal · Analyse Aus allen Branchen gehen Anträge bei der Arbeitsagentur Solingen-Wuppertal ein. Probleme der Industrie nehmen zu.

 Martin Klebe ruft dazu auf, Anträge zu stellen.

Martin Klebe ruft dazu auf, Anträge zu stellen.

Foto: Agentur für Arbeit

Mit Krediten und Kurzarbeitergeld will die Bundesregierung Zeit gewinnen, um möglichst viele Unternehmen durch die Coronakrise zu retten. Erst in den vergangenen Tagen ist das ganze Ausmaß der Krise deutlich geworden. Die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft sind für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen beängstigend. „Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie werden alles bisher Gewesene übertreffen. Die finanziellen Folgen werden durch Kurzarbeitergeld deutlich abgemildert“, sagt Martin Klebe, Chef der Agentur für Arbeit Solingen-Wuppertal, und fordert die Unternehmen im Bergischen Städtedreieck auf, die Kurzarbeit zu nutzen. „Kurzarbeit ist das Gebot der Stunde.“

Die Auswirkungen der Coronakrise werden von der Arbeitsagentur für alle Branchen als bedrohlich eingestuft. „Wir können keine konkreten Zahlen zur Kurzarbeit vorlegen, aber es zeichnet sich ab, dass die Zahl der Betriebe, die Kurzarbeit beantragen werden, deutlich über der in der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 liegt. Und dabei macht es keinen Unterschied, ob das Unternehmen auf Wuppertaler, Solinger oder Remscheider Stadtgebiet liegt.“

Unternehmen, bei denen aufgrund eines erheblichen Arbeitsausfalls die regelmäßige Arbeitszeit reduziert wird, können den Verdienstausfall durch Kurzarbeitergeld zum Teil ausgleichen. Die Hürden für den Antrag auf Kurzarbeitergeld wurden von der Bundesregierung bereits erheblich gesenkt. Manchmal gibt es nur in einzelnen Abteilungen einer Firma nicht genügend Arbeit. Die betroffenen Beschäftigten arbeiten bei Kurzarbeit weniger oder überhaupt nicht und erhalten von ihrem Arbeitgeber eine Entgeltersatzleistung aus der Arbeitslosenversicherung, das sogenannte Kurzarbeitergeld.

Der Informationsbedarf zum Kurzarbeitergeld ist riesengroß

„Hotels, Gaststätten und Messebau sind bisher mit am stärksten betroffen, aber wir hatten auch schon den einen oder anderen Industriebetrieb, der Kurzarbeit angemeldet hat“, sagt Klebe. Bis Ende des Monats werden etliche Anträge hinzukommen, denn Kurzarbeitergeld kann rückwirkend für den ganzen März angezeigt werden. Betroffene Mitarbeiter erhalten 60 Prozent (ohne Kind) beziehungsweise 67 Prozent (mit Kind) ihres Nettoeinkommens, wenn zum Beispiel ein unabwendbares Ereignis das Unternehmen betrifft. Staatliche Schutzmaßnahmen wie die Schließung von Gaststätten fallen in diese Kategorie.

Für eine beschleunigte Bearbeitung empfiehlt die Agentur eine Antragstellung über das Internet. Außerdem wurde die Arbeitgeberhotline der Agentur personell verstärkt. „Der Informationsbedarf ist verständlicherweise groß, daher bitte ich um Verständnis und Geduld, wenn ein Anruf nicht immer direkt entgegengenommen werden kann“, sagt Klebe. Alle Mitarbeiter der Agentur seien sich der Wichtigkeit ihrer Tätigkeit in dieser Krise bewusst und entsprechend motiviert. Bis auf einige Corona-Verdachtsfälle sei das Personal komplett.

Das Instrument der Kurzarbeit hatte in Deutschland in der Finanz- und Wirtschaftskrise erheblich dazu beigetragen, dass Entlassungen vermieden werden konnten. Als die Konjunktur dann wieder ansprang, konnten viele deutsche Unternehmen mit der bewährten Belegschaft durchstarten.

Die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) hat gefordert, das Kurzarbeitergeld per Tarifvertrag deutlich aufzustocken. Vom neuen Kurzarbeitergeld könnten Kellnerinnen, Köche und Hotelfachangestellte kaum leben, so die NGG. Martin Klebe weist jedoch darauf hin, dass für höhere Zahlungen zunächst einmal eine weitere gesetzliche Regelung erforderlich sei.

Während die Gastronomiebranche aufgrund der Erlasse von Bund, Ländern und Kommunen von einem Tag auf den anderen vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, wird sich die Lage in den Industriebetrieben erst dann dramatisch zuspitzen, wenn Lieferketten wie zum Beispiel nach Italien zusammenbrechen. Ohne Werkteile oder Werkstoffe ist eine Produktion unmöglich. Sowohl Angebot als auch Nachfrage sinken, was den Prozess beschleunigt. Kurzarbeit schafft dagegen Möglichkeiten, besonders betroffene Bereiche eines Unternehmens in ein „künstliches Koma“ zu versetzen, damit die anderen Bereiche des Betriebes weiterlaufen können.

Vorwerk zum Beispiel hat derzeit keine Kurzarbeit, bereitet sich aber auf das Szenario vor. Im Bayer-Werk werden die Aktivitäten bei optimalem Output auf ein Minimum heruntergefahren. Ähnlich dürfte die Situation in vielen Unternehmen sein. Überall werden Wege gesucht, die Krise zu überstehen. Kurzarbeit ist eines der wirkungsvollsten Mittel.

Unternehmen erreichen die Arbeitsagentur unter 0800 4 5555 20.

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