Wuppertaler erforscht die digitale Welt

In Paderborn wird Jochen Viehoff Leiter des größten Computermuseums der Welt.

Herr Viehoff, herzlichen Glückwunsch. Sie werden Geschäftsführer des Heinz Nixdorf Museumsforum (HNF) und leiten damit ab dem 1. September das größte Computermuseum der Welt. Was sind Ihre Pläne in Paderborn?

Jochen Viehoff: Vielen Dank für die Glückwünsche. Zugegeben: Ich freue mich darüber, dass mich meine alte „Heimatzeitung“ bezüglich der neuen Position kontaktiert. Als das Heinz Nixdorf Museumsforum 1996 eröffnete, war der Computer noch ein rein technisches Gerät, das auf Büroschreibtischen von Unternehmen und Banken, an Universitäten oder bei den „Nerds“ im elterlichen Jugendzimmer stand (Anmerkung der Redaktion: Das englische Wort „Nerds“ meint Sonderlinge, Fach-Langweiler beziehungsweise Außenseiter). Das Internet steckte noch in den Kinderschuhen, Webseiten waren rar und zumeist von Hand „programmiert“. Seit damals hat sich unsere digitale Welt komplett geändert. Der Computer als digitale Rechenmaschine ist heute allgegenwärtig, jedes Smartphone hat die vielfache Rechenleistung eines PCs von damals.

Welchen Beitrag möchten Sie dazu leisten?

Viehoff: Ich sehe meine neue Aufgabe darin, diese technische wie gesellschaftliche Weiterentwicklung zu reflektieren und erfahrbar zu machen. Unsere Gesellschaft im digitalen Zeitalter strukturiert sich vollkommen neu. Ich möchte einen musealen Raum schaffen, um diese Entwicklung nachvollziehen und begreifen zu können. Was waren die technischen Voraussetzungen und politischen Entscheidungen dafür, dass ich heute mit dem Smartphone an nahezu jedem Ort dieses Planetens auf meine digitalen Medien und Daten und Kommunikationspartner zugreifen kann? Was sind die Risiken einer vollkommen digitalisierten Informationsgesellschaft? Wir möchten keine Prognosen wagen, was die Technik in den kommenden 50 Jahren hervorzubringen vermag (tun es allerdings in Sonderausstellungen doch). Aber wir möchten einen Ort schaffen, an dem man verstehen kann, wie es dazu kam, dass unsere digitalisierte soziale Medien- und Kommunikationswelt so ist, wie sie ist.

Sie stammen aus Wuppertal. Was bedeutet Ihnen Ihre Heimat?

Viehoff: Wuppertal ist meine Heimatstadt. Dort bin ich aufgewachsen, zur Schule und zur Uni gegangen. Ich kenne diese Stadt sehr gut, auch wenn ich in den vergangenen Jahren die Entwicklungen nur noch aus der Distanz und aus den Medien wahrgenommen habe. Eine nüchterne, bergische, protestantische Gelassenheit tut im Übrigen im erzkonservativen Paderborn ganz gut. Meine Eltern leben an der Wuppertaler Stadtgrenze — in Düssel. Und das Tanztheater Wuppertal schafft ebenfalls viele Anlässe, in die Heimat zurückzukehren.

Sie haben sich nicht nur als Physiker, sondern auch als Fotograf einen Namen gemacht — speziell mit Bildern, die das Pina-Bausch-Ensemble zeigen. Wie entstand die Leidenschaft für das Wuppertaler Tanztheater?

Viehoff: Das ist eine längere Geschichte und hängt übrigens auch mit der Historie des Internets zusammen. Aufführungen des Tanztheaters Wuppertal habe ich seit meinem 18. Lebensjahr genossen. Mein erstes Stück war „Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört“. Wir saßen in der ersten Reihe. Schon nach 15 Minuten war ich vollständig mit Erde zugedeckt, die die Tänzer bei ihren Bewegungen aufwirbelten. Jedes Stück habe ich seitdem gesehen. Weil meine damalige Lebenspartnerin und ein guter Freund von uns die ersten Webseiten für das Tanztheater programmierten, hatte ich als Fotograf die Gelegenheit, Bilder von den Stücken aufzunehmen — die etablierten Fotografen trauten dem neuen Medium nicht so recht. Das war meine Chance. Pina gefielen die Fotografien von mir, die weniger dokumentarisch, dafür eher künstlerisch wirken. Seitdem arbeite ich mit dem Tanztheater zusammen.

Und heute?

Viehoff: Auch heute lasse ich keine Gelegenheit aus, bei den Generalproben im Tal neue Fotos von den alten Stücken aufzunehmen. Ich bin sehr gespannt, in welche Richtung sich das Tanztheater unter der neuen künstlerischen Leitung weiter entwickeln wird.

Haben Sie ein Lieblingsstück?

Viehoff: „Der Fensterputzer“ — das ist vielleicht mein Lieblingsstück. Für die Generalprobe bin ich extra aus meinem Forschungsaufenthalt in Italien zurückgekehrt — mit dem Nachtzug, was unzählige Stunden dauerte. Das war 1997. Ohne zu schlafen habe ich direkt meine Aufnahmen gemacht. Der damalige Geschäftsführer des Tanztheaters, Matthias Schmiegelt, begrüßte mich dann auch gleich mit den Worten: „Sprechen Sie Deutsch?“ Das fand ich lustig und ich fühlte mich sehr international. Verblüffend ist, dass ich immer noch keine neueren Bilder von dem Stück als die 1997 aufgenommenen habe. Alles analoge Dias und Schwarzweiß-Aufnahmen. In der Performance fuhr damals noch Jan Minarek auf Skiern den großen Rosenberg hinunter.

Wäre eine kulturelle Kooperation zwischen Wuppertal und Paderborn denkbar?

Viehoff: Ich würde sehr gerne in Zukunft kulturelle Kooperationen zwischen Wuppertal und Paderborn vorantreiben. Das kann im Rahmen der Paderborner Fototage sein, die 2015 wieder stattfinden, oder auch gemeinsam mit dem Tanztheater. Pina Bausch war den „Neuen Medien“ vollkommen offen gegenüber eingestellt. Was man heute als innovative Bühnengroßprojektionen in Berlin oder Bayreuth sieht, war vor mehr als zehn Jahren im Wuppertaler Schauspiel- und Opernhaus schon üblicher Standard. Vielleicht sollte das Tanztheater Wuppertal gleichsam einen festen Platz in der HNF-Geschichte für Medientechnik der vergangenen 20 Jahre bekommen . . .

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