Wuppertaler Autor erforscht Nazi-Notizen

Moritz Pfeiffer über Heinrich Himmler.

Wuppertal. Im März wurde Moritz Pfeiffer vor laufender Kamera berühmt: Der Wuppertaler Historiker diskutierte mit Günther Jauch. Der TV-Moderator hatte den 31-Jährigen in seine Sonntagabend-Sendung eingeladen, um in erlesener Runde — auch mit Sigmar Gabriel (SPD) und Schauspielerin Barbara Rütting — über das Thema Krieg zu sprechen („Mutter, Vater, was habt Ihr getan?“).

Nun hat Pfeiffer — zusammen mit Markus Moors — ein Buch herausgegeben, das eine ebenso große Breitenwirkung wie Brisanz haben dürfte: Das Duo stellt „Heinrich Himmlers Taschenkalender 1940“ vor (Verlag Ferdinand Schöningh, 510 Seiten, 39,90 Euro). Es gewährt interessante Einblicke in die Welt des späteren Reichsinnenministers und richtet sich nicht nur an die wissenschaftliche Fachwelt, sondern auch „an die historisch-interessierte Öffentlichkeit“.

Herr Pfeiffer, Sie waren im März in der Talkshow von Günther Jauch zu Gast. Wie war die Resonanz?

Moritz Pfeiffer: In der Mehrzahl sehr positiv. Ich habe viele Mails und Briefe erhalten — mit Zustimmung. Die TV-Kritiken lobten, dass insbesondere Sigmar Gabriel und ich der ansonsten eher schwachen Diskussion positive Impulse gegeben hätten. In der Folge wurde ich zu Vorträgen und Lesungen eingeladen. Das hat mich natürlich sehr gefreut. Vereinzelt gab es aber auch kritische Stimmen, insbesondere die nicht unbekannte Verdrängungs- und Schlussstrichmentalität, man müsse das Thema endlich mal ruhen lassen.

Gerade ist Ihr neues Buch erschienen. Wie wichtig war der persönliche Taschenkalender für Heinrich Himmler?

Pfeiffer: Durchaus sehr wichtig. Himmler hat über viele Jahre hinweg solche Kalender geführt und darin im Nachhinein rudimentär den Tagesablauf festgehalten. Als Tagebuch sollte man dies nicht bezeichnen, dafür sind die Eintragungen zu knapp. Aber die Regelmäßigkeit und Sorgfalt, mit der er die Taschenkalender führte, belegen einen hohen Stellenwert. Mehrere solcher Kalender sind erhalten geblieben. Manche befinden sich im Bundesarchiv, andere in privater Hand. Das jetzt edierte Exemplar aus dem Jahr 1940 befindet sich im Sammlungsbestand des Kreismuseums Wewelsburg. Wir gehen davon aus, dass er den Kalender ständig bei sich getragen hat, gerade einmal für elf Tage finden sich keine Eintragungen.

Sie haben — zusammen mit Markus Moors — im Auftrag des Kreismuseums Wewelsburg zwei Jahre lang geforscht. Welche zentralen Schlüsse lassen Himmlers Eintragungen zu?

Pfeiffer: Sein Denken in rassistischen Hierarchien wird überdeutlich. Neben vermeintlich höherwertigen Menschen „germanischer“ Abstammung existierten seiner Meinung nach „minderwertige Rassen“, etwa Juden, Slawen, Sinti und Roma. Deren Verfolgung stellte in Himmlers Augen einen wichtigen Dienst am „deutschen Volke“ dar, die Ermordung der Juden gar ein „Ruhmesblatt“. Durch weitere Archivmaterialien konnten wir nicht nur seine Tagesabläufe rekonstruieren, sondern auch Tag für Tag die Inhalte seiner Arbeit und die Verknüpfung der verschiedenen Tätigkeitsfelder erschließen.

Wie sah seine Handschrift aus?

Pfeiffer: Recht ausladend mit weiten Schwüngen und Bögen, insbesondere bei den Großbuchstaben. Zu Beginn des Projektes war die Transkription der Eintragungen eine echte Herausforderung, da er in vereinfachtem Sütterlin geschrieben hat. Ich musste mich zunächst einmal einlesen, dann wurde es leichter.

Über welchen Eintrag haben Sie am meisten gestaunt?

Pfeiffer: Über solche Einträge, die das offensichtlich problemlose Nebeneinander von Familienmensch und NS-Politiker zeigen: Er ging mit seiner Tochter Gudrun, genannt „Püppi“, zum „Eislauf“, sorgte sich, wenn seine Ehefrau Margarete, genannt „Mami“, krank war, besuchte regelmäßig seine „Mutti“ und „Vaters Grab“ in München. Gleichzeitig vermerkte er aber auch KZ-Besuche im Taschenkalender, wohnte einer „rassische[n] Siebung von Polen und Ukrainern“ bei, besuchte das jüdische „Getto“ im polnischen Lodz und verzeichnete nicht ohne Stolz und Ehrfurcht knapp 100 Zusammenkünfte mit seinem „Führer“ Adolf Hitler.

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