Wuppertal liest – und Figuren lernen laufen

Türkischrot: Auftakt der beliebten Reihe: Tessa Mittelstaedt las in der Gemarker Kirche.

Wuppertal. Es hätte keinen besseren Ort für den Startschuss geben können: Fast scheint es, als wolle die Kirchenuhr das bestätigen - und auch ein Wörtchen mitreden. Jedenfalls macht sie lautstark auf sich aufmerksam. Kurz bevor "Wuppertal liest" am Samstagabend in die vierte Runde geht, ist nicht zu überhören, dass in der Gemarker Kirche Großes zu erwarten ist. Krimi-Kenner wissen da natürlich längst, was die Stunde geschlagen hat. "Wuppertal liest" - eine ganze Woche lang. Diesmal entführt die beliebte Lesereihe ins 19. Jahrhundert. Als erstes geht’s in die Kirche an der Zwinglistraße, was beweist, dass die Veranstalter den historischen Roman von Christiane Gibiec ganz genau gelesen haben. Wer es nicht schon weiß, lernt es an diesem Abend: Es geht um "Türkischrot", um das Wuppertal zur Zeit der industriellen Revolution, um eine Fabrikantengattin, die ihr Leben verliert, und ein Dienstmädchen, das den Mann fürs Leben für sich gewinnt.

Schauspielerin Tessa Mittelstaedt erhebt deshalb ihre Stimme. Aber nicht nur das. Sie hebt sie, sie senkt sie - genauso wie ihre Arme und Hände. Ganz zu schweigen von den Augenbrauen. Wenn der TV-Star sachte schmunzelt, ahnen es die 200 Zuhörer schon: Gleich geht’s wieder um die Gemarker Kirche, die so gerne ihre Glocken sprechen lässt und schon auf Seite3 eine zentrale Rolle spielt - am Samstag ganz besonders.

Dass Literatur keineswegs nur in den Elfenbeinturm gehört, beweist eine spannende Mischung aus Lesung, Gespräch und Konzert. Sie lebt von den atmosphärischen Klängen, die Martin Stürtzer und Christian Stritzel zaubern, den launigen Fragen von Moderatorin Ingrid Müller-Münch ("Lebt man beim Schreiben isoliert mit den Figuren in der Wohnung? Oder kann man auch mal rausgehen?") und den mindestens ebenso amüsanten Antworten der Autorin. "Die Figuren laufen plötzlich über die Bettdecke und bekommen ein Eigenleben", plaudert Gibiec aus. "Kutscher und Köchin etwa waren in der Form gar nicht geplant - die wollten einfach mitspielen."

Das bietet Tessa Mittelstaedt beste Möglichkeiten, verschiedene Gesichter zu zeigen. Die "Tatort"-Assistentin, die einst im Tal Theater machte, haucht den Figuren Leben ein und ist alles in einer Person: die affektierte Fabrikantengattin, die Puderwolken um sich schart, eine ihrer verwöhnten Tochter mit dem herablassenden Tonfall, oder das Dienstmädchen Rieke, bei der man förmlich spürt, wie sie errötet, wenn sie ihre große Liebe trifft. Nicht nur deshalb ist auch Oberbürgermeister Peter Jung begeistert: "Wer wissen will, was unsere Stadt ausmacht, muss dieses Buch lesen." Noch bis zum 26. Oktober gibt es dazu die perfekte Gelegenheit.

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