Schauspiel Wuppertal Warten auf Godot: „Solange sie spielen, leben sie“

Das Schauspiel Wuppertal zeigt Samuel Becketts Klassiker „Warten auf Godot“. Ein Stück über das Leben, Überleben und - eben das Warten.

Schauspiel Wuppertal: Warten auf Godot: „Solange sie spielen, leben sie“
Foto: Claudia Kempf

Wuppertal. Für den Regisseur von „Warten auf Godot“ gibt es scheinbar gar nicht viel zu tun. Alles steckt schon im Text. Volker Schmalöer, Theaterregisseur aus Köln und früherer Oberspielleiter am Staatstheater Kassel, sagt, der Text sei wie eine Partitur. Die Abfolgen von Sprache und Stille seien genau gewählt. Zeit ist entscheidend in dem Stück des Iren Samuel Beckett. Die gespielte Zeit, die erzählte Zeit und die erlebte Zeit sind beinahe deckungsgleich — bis auf einen Zeitsprung. „Es ist das absolute Jetzt“, sagt Schmalöer. Die Figuren haben keine Vergangenheit, keine Zukunft. Sie stellen die Frage nach Beschäftigung: „Wie fülle ich die Zeit?“ Und das Publikum ist in Echtzeit dabei.

Das Stück „Warten auf Godot“ war eine Revolution, als es 1953 das erste Mal aufgeführt wurde. „Alles hatte wieder eine Bedeutung“, beschreibt Schmalöer den Einfluss des Stücks. Beckett, ein Schüler James Joyce’, schrieb das Spiel nach dem Zweiten Weltkrieg. Er war selbst in der französischen Résistance und musste vor den Nazis fliehen. Es zeigt die Welt nach der Katastrophe. Ohne Zeit. Ohne Ort. Zwei vermeintliche Landstreicher warten. Auf Godot. Wer das ist, was er vorhat — das weiß keiner. Nur, dass er sie retten soll. Selbst Beckett sagte: „Hätte ich gewusst, wer Godot ist, hätte ich das Stück nicht geschrieben.“

Die Protagonisten Wladimir und Estragon warten auf Rettung und Erlösung durch Godot und treffen dabei auf Pozzo und Lucky, Herrn und Diener. Zum Zeitvertreib und zur Überbrückung des Wartens reden sie miteinander, sprechen aneinander vorbei, blödeln, streiten und vertragen sich. Und sie spielen, sie spielen immer wieder neue Spiele. „Sie spielen um ihr Leben. Solange sie spielen, leben sie“, sagt Schmalöer.

Das Stück galt einst als absurdes Theater, als Avantgarde. Ort und Zeit waren nicht zu erfassen. Das Warten auf Godot galt als Sinnbild für die Abstinenz Gottes. Mittlerweile ist die Literaturwissenschaft weiter — trotz aller fehlenden Interpretationshilfen Becketts, der sich zeitlebens weigerte, selbst über den Sinn seiner Stücke zu sprechen. Mittlerweile heißt es, die Protagonisten seien Juden aus dem Widerstand, die auf einen Schleuser warten, der ihnen hilft, vor den Nazis zu fliehen.

Klar könnte man es in diese Richtung drehen, sagt Schmalöer. „Aber das wäre eine Verkleinerung des Textes. Und ich glaube, Beckett hätte sich entschieden dagegen gewehrt.“ Stattdessen liege die Größe des Textes, des Stücks in „der Form der Parabel, die immer wieder anwendbar ist“. Es geht um das Leben, die Zeit, den Tod und die Frage, was machen wir mit der Zeit, die wir haben? Jedenfalls ist das eine Interpretation des Stücks.

Dramaturgin Cordula Fink sagt, das Stück sei zeitlos und ungebrochen in seiner Aktualität. Schmalöer nennt es einen Schwamm, der die Welt um sich herum aufsaugt. Vielleicht, weil das Stück nie groß verändert werden durfte. Die Erben Becketts wachen darauf mit strengem Blick. Probleme habe es für das Schauspiel deswegen nicht gegeben, sagen Fink und Schmalöer. Neues und Eigenes habe man eher in das Bühnenbild einfließen lassen. Und da seien die Erben des Literaturnobelpreisträgers nicht so penibel. „Es ist ein nicht ganz so tradiertes Bühnenbild mit Landstraße und Baum“, sagt der Regisseur. „Man sieht es im Bühnenbild nicht, aber wir haben viel an das Orchester der Titanic gedacht, das bis zum Schluss gespielt haben soll.“ Der Untergang und der Umgang damit. Bühnenbildner Michael Lidner sagt, er habe die Zeit konserviere, sie sichtbar und zum Glänzen bringen wollen. Das finde man am Ende auf der Bühne. Wie das aussieht, bleibt ein Geheimnis — nur von einem Objekt auf der Bühne ist die Rede.

In all der Abstraktion, in all dem Vagen dürfe aber die Unterhaltung nicht vergessen werden, sagt Schmalöer. „Warten auf Godot ist sehr humoristisch. So viel Humor in so viel Pessimismus zu legen, das ist ein Meisterstück von Beckett.“

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