Lesung Von der Suche nach einem Hund

Verena Güntner war mit ihrem Roman „Power“ bei Literatur auf der Insel zu Gast.

 Verena Günter stellte ihren zweiten Roman „Power“ vor.

Verena Günter stellte ihren zweiten Roman „Power“ vor.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Im Kern geht es (nur) um die Geschichte „Mädchen sucht Hund“. „Wer will das lesen?“, habe sie sich gefragt, als sie ihr Buch über die Suche schrieb. Sagt Verena Güntner – wohl wissend, dass „Power“, so der symbolträchtige Name des Schreibergebnisses, direkt auf die Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse gelangte, nachdem es im Februar dieses Jahres erschienen war. Entsprechend viele hervorragende Kritiken eingefahren hat. Vom „großen Gesellschaftsroman über Macht und Niedergang“ war da die Rede, von einer „faszinierenden Parabel auf die Gegenwart“ oder einer „brillanten Allegorie auf die Verweigerung des Akkulturationsprozesses“. Auch in Wuppertal widerfährt Güntner großes Interesse, als sie die eben doch überaus vielschichtige Suche bei „Literatur auf der Insel“ im Café Ada vorstellt.

Comeback für die Literatur-Veranstaltungsreihe nach einem guten halben Jahr Pause: Im März sollte die gebürtige Ulmerin ihren zweiten Roman in Wuppertal vorstellen, Corona kam dazwischen. Am Wochenende wurde der Termin nachgeholt. Mit Abstandsregeln, geringerer Bestuhlung und Personalienerfassung. Schließlich, so die Gastgeber, Uta Atzpodien und Torsten Krug, wolle man eine sichere Insel sein. Voller Begeisterung präsentierten sie Buch und Autorin, stellten Fragen zwischen den einnehmend vorgetragenen Lesepassagen – Güntner ist eben auch Schauspielerin.

Was auf die Herangehensweise beim Schreiben abfärbt, weil sie zunächst den Figuren folge, dem was sie vorgeben, danach strukturiere, erzählt sie. Zentrale Figur von „Power“ ist Kerze, ein junges Mädchen, das in einer kleinen unverorteten Dorfgemeinschaft aufwächst. Sie begibt sich auf die Suche nach Power, dem verschwundenen Hund ihrer Nachbarin. Diese Suche nimmt bizarre Züge an.

Immer mehr Kinder schließen sich Kerze, einer gebrochenen, kindlich-größenwahnsinnigen wie despotischen Anführerin an, mutieren beim Sichhineinversetzen in den Gesuchten zu einem Rudel Hunden, das die ohnmächtigen Eltern und das Dorf in Richtung Wald verlässt. Am Ende wird das tote Tier gefunden, die Kinder kehren ins häusliche Nest zurück. All das erzählt in einer sensiblen wie intensiven, klaren wie poetischen Sprache.

Geschrieben in einer sensiblen wie intensiven Sprache

Roter Faden der Erzählung ist natürlich der Begriff des Verschwindens, der Schmerz über den Verlust, der alle schicksalhaft verbinde, sagt Güntner und fragt: „Was passiert mit Menschen, die verschwinden, während ihre Lücken dableiben?“ Was auf Tier oder Mensch bezogen werden kann, kann in einem übertragenen Sinne auch die zwischenmenschliche Verbindung, die Kommunikation, meinen. Sie als Mutter kenne durchaus die Horrorvorstellung, dass sie nicht mehr an ihre Kinder herankomme, so Güntner. Das Buch werfe Fragen auf, ohne Antworten zu geben. Sie selbst sei Suchende, empfinde es als übergriffig, Lösungen anzubieten.

Stattdessen schickt sie die Leser auf den schmalen Grat zwischen Realität und Surrealität, magisch angezogen vom Wunsch nach Lösungen, begleitet von ständig neuen Assoziationen und eigenen Deutungsansätzen. Vom scheinbaren Dorfidyll mit hohem Gewaltpotential über den Generationenkonflikt, das Scheitern der Kommunikation zwischen Kindern und Erwachsenen bis hin zur gefährlichen Gruppendynamik, dem Kontrollverlust, oder gar der Überwindung der Geschlechterklischees. All das lässt die 42-jährige Autorin bewusst zu, „jeder bringt seine Deutungen mit, das wollte ich so“, sagt sie, will das Buch zugleich weder als Fantasyliteratur noch als moralisierendes Märchen verstanden wissen.

Dafür gewährt sie Einblicke in die Entstehung, in dreieinhalb Jahre „elende Arbeit“ mit Selbstzweifeln. Ihr Mann fertigte ihr ein Modell mit Playmobilfiguren an, das ihr half, spielerisch den Roman zu vollenden. Sie brachte es nach Wuppertal mit, genauso wie das Lied „And It’s Alright“ von Peter Broderick, in dem sie Trost und Motivation fand. „The rocks in our hands preparing for flight“ ist ein Satz daraus, den Güntner ihrem Buch nun voranstellt. Sinnbild für die Steine in den Händen, die geworfen werden auf ein scheinbar heiles Dorf, dessen Kräfteverhältnisse aus den Fugen geraten.

» Verena Güntner: Power. 254 Seiten. Dumont. 22 Euro

Die nächsten Gäste bei Literatur auf der Insel: Peter Schneider (30. Oktober); Philipp Weiss (27. November)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort