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Torsten Krug vom Freien Netzwerk Kultur über Bad Banks und die Kunst als Katharsis.

 Thomas Krug.

Thomas Krug.

Foto: Fischer, A. (f22)/Fischer, Andreas (f22)

Unmittelbar vor und kurz nach Weihnachten haben mich zwei Dinge besonders beschäftigt, die merkwürdig miteinander korrespondieren. Das eine war wie eine vorgezogene Weihnacht, ein „frohes Fest“: Aeham Ahmad, der „Pianist aus den Trümmern“ Syriens, gab ein leidenschaftliches Gastspiel im übervollen Café Swane, zusammen mit dem aus Geflüchteten entstandenen Ensemble „Al Watan“. Ich durfte an diesem 23. Dezember aus seiner Autobiografie „Und die Vögel werden singen“ lesen. Das zweite – man möge mir diese krude Verbindung nachsehen – war die Fernsehserie „Bad Banks“, die man noch bis Mitte Februar in der ZDF-Mediathek finden kann.

Für manche ein alter Hut, fand ich erst jetzt, zwischen den Jahren, Gelegenheit, sie zu sehen. Ich empfehle sie. Sie erzählt von einer Welt, in der die Karriere alles ist. Nicht das Geld spielt die Hauptrolle, es ist nur der Einsatz in einem großen Spiel. Seine Protagonisten sind Spielsüchtige, Narzissten, die den größtmöglichen und riskantesten Sieg davon tragen müssen, um gleich darauf den noch größeren Deal anzustreben. Sie tun dies spekulativ, das Geld ist nicht greifbar, es bleibt virtuell. Ihre Gewinne und Verluste haben allerdings Ursachen und Auswirkungen auf unsere „wirkliche Welt“, bedeuten Tote oder Beraubte, Armut und Gewalt. Sie verändern unsere Welt mit Macht. Ich erschrak darüber, wie ich die Zocker-Mentalität nachvollziehen zu können glaubte, darüber, wie diese unsere Welt im Innersten zusammenhält – oder etwa nicht? Musik spielt dann nur die Rolle eines angenehmen Hintergrundrauschens, Kunst ist bestenfalls Investitionsobjekt, Bücher sind nur von Bedeutung, wenn sie einem unmittelbar nützen – kurz: Vieles von dem, was meine persönliche Lebenswelt ausmacht und in ihr Wert besitzt, ist in jener Welt nur Staffage, nettes aber unbedeutendes Beiwerk – und vor allem: käuflich.

Die Zeit zwischen den Jahren, die ich sonst so schätze und genieße, brachte mir diesmal nicht die erhoffte Ruhe. Mich übermannte – ich kann es nicht anders sagen – die Sorge um unsere Welt. Was machen wir nur aus ihr?

In der Welt von Aeham Ahmad bedeutet Musik bis heute: Überleben. Als der Stadtteil von Damaskus, in dem er als Klavierlehrer und im Musikalienhandel seines Vaters arbeitete, isoliert und immer weiter zerstört wurde, als die Verzweiflung und der Hunger am größten waren, schoben er und einige Freunde sein Klavier auf die Straße und sangen in den Kratern der eingeschlagenen Raketen. Videos davon gingen um die Welt. Bis heute kann man sie auf YouTube sehen. Kinder sangen mit ihm, ein Mädchen wurde neben ihm erschossen. Seine Geschichte verändert unseren Blick, ist beeindruckendes Zeugnis von Widerstand und Zuversicht. Ahmad gelang die Flucht nach Deutschland, 2015 erhielt er den internationalen Beethovenpreis für Menschenrechte.

Als ich aus Ahmads Buch vorlas, kauerte er zuletzt auf dem Boden vor seinem Klavier. Später erfuhr ich, dass er während der Lesung geweint habe. Das erstaunte und berührte mich. Mit der Musik und dem Erzählen geht er wieder und wieder durch seine Geschichte hindurch, singt und schreit er sich das Grauen von der Seele. Und die Welt hört zu. Seine Kunst vereinte jung und alt, Frauen und Männer, Menschen vieler Nationalitäten und Sprachen. Alle zusammen haben wir gesungen. Es war ein großer Abend, eine Katharsis. Die Freude ist ein schöner Götterfunken. Tragen wir ihn weiter. Frohes Neues!

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