Musical-Akademie Ein Musical ist mehr als Singen und Tanzen

Tic-Workshop bereitet auf Aufnahmeprüfungen vor und probt für die Musical-Akademie, die das Cronenberger Theater im Herbst öffnet

 Im Seminar in den Breuerschen Höfen haben sich die Schüler hinter Lehrerin Kati Farkas aufgestellt. 

Im Seminar in den Breuerschen Höfen haben sich die Schüler hinter Lehrerin Kati Farkas aufgestellt. 

Foto: Fries, Stefan (fri)

Fast ist da ein kleiner Widerspruch zwischen dem Geschehen und der Umgebung, in der es stattfindet. Zwischen der hell singenden Frauenstimme, die aus einem Raum nebenan herkommt, dem lichtdurchfluteten Saal mit den großen Fenstern und dem alten Fischgrätparkettboden – und dem jungen Mann, der sich in Rage redet, dabei immer wieder von dem ihm gegenübersitzenden Mann unterbrochen wird. Der ihm zuhört und dann sagt, wie er seine Worte anders rüberbringen soll, genervter, erregter, authentischer. Schauspiel ist ein wichtiger Bestandteil des Musical-Workshops des Tic-Theaters (siehe Kasten). Er bringt acht junge Menschen und acht Dozenten in den ehemaligen Breuer Höfen am Rande des Luisenviertels zusammen. Die einen werden binnen dreier Tage für Eignungsprüfungen zu Musical-Studiengängen fit gemacht. Die anderen absolvieren einen Probedurchlauf für die Tic-Musical-Akademie, die zum Wintersemester startet.

Julia Thielweer ist 24 Jahre alt und studiert in Münster Grundschullehramt Musik. Einerseits. Andererseits habe sie ihr Faible für Musicals nie losgelassen, ihr fehle die Bühne, sagt sie. Nun will sie es wissen, will sich im Sommer für den Studiengang bewerben, besucht deshalb den Workshop in Wuppertal: „Wenn ich es jetzt nicht wenigstens versuche, werde ich mich irgendwann ärgern.“

Auch Kai Dahlberg studiert Musik auf Lehramt in Köln. Das Thema Musical habe sich an ihn angeschlichen, erzählt der 23-Jährige. In der Pandemie habe er bemerkt, dass ihm Schul-Musik nicht ausreiche. Nun bereitet er sich gezielt auf Eignungsprüfungen vor, genießt den Austausch mit den Gleichgesinnten und den Dozenten beim Workshop, die Suche nach dem Ausdruck des eigenen Ichs.

Der Schauspielintendant
genießt es, Dozent zu sein

Um das es auch Thomas Braus geht, der vor wenigen Minuten noch seinen „Schüler“ Kai dazu aufforderte, aus sich herauszugehen, um ins Ich von Feuerbach in Tankred Dorsts gleichnamigem Stück zu schlüpfen, es nicht vorzuspielen, sondern es zu sein, so auch einiges über sich selbst zu erfahren, eine gewisse Form von Wahrhaftigkeit zu erreichen. Ein komplizierter Weg sei das, sagt der Schauspielintendant, der es genießt, Dozent zu sein, so wie er schon länger szenische Ariengestaltung an der Musikhochschule unterrichtet. Braus fühlt sich dem Tic verbunden, durch einen gemeinsamen Preis, den die Schulerstiftung vor drei Jahren spendierte, durch Schauspieler wie Julia Meier, die im Tic ihre ersten Erfahrungen machte und nun zu seinem Ensemble gehört. Das Tic sei eine tolle Talentschmiede, findet Braus. Und dass zu einem echten Musiktheater echtes Schauspiel gehört, sowieso. „Das Schauspiel werde beim Musical gerne unterschätzt“, sagt auch Meier, und dass das Spartendenken falsch, die Angleichung der Sparten gut sei. Praktiziert dies selbst mit dem Schauspielensemble, etwa in der Faust-Performance.

Worte, die Stefan Hüfner, künstlerischer Leiter des Tic, gerne hört. Sein Theater hat vor der Pandemie schon viele Workshops gegeben, möchte mit der Akademie eine Lücke schließen, die die wenigen staatlichen Hochschulen in Deutschland (Osnabrück, Essen, München und Berlin) lassen, wo die Studierenden (zu) wenig Praxis-Erfahrung sammeln können. „Es geht um den Theateralltag, nicht nur auf der Bühne, sondern auch den im Theater.“ Weshalb die Akademie in der vorlesungsfreien Zeit auch Praktika ansetzen will. Die Idee zur Akademie, so Hüfner, habe man schon lange. In der spielfreien Zeit der Pandemie konnte sie durchdacht werden. Die Finanzierung des vierjährigen Studiums soll über Gebühren erfolgen, die die Studierenden erbringen. Angestrebt ist ein Kostenausgleich, eine Gewinnerzielung ist nicht beabsichtigt. Die staatliche Anerkennung kann nach Abschluss des ersten Jahrgangs beantragt werden, der zum Wintersemester beginnen soll.

In den Breuer Höfen hat die Akademie zwei Etagen, einen 150 Quadratmeter großen Tanzsaal mit Tageslicht und viele kleine Räume für Einzelunterricht. Die noch anstehenden Umbauten der Immobilie (WZ berichtete), die einerseits Verbesserungen bringen, andererseits den Betrieb beeinträchtigen werden, werden demnächst besprochen. Fest steht dagegen die Dozentenschar, die aus Hüfner selbst besteht, der sich um Musiktheorie kümmert, sowie die Autorin und Kulturanalytikerin Patricia Martin (Musikalische Leitung und Korrepetition), die Musikpädagogin Valerie Bruhn (Gesang), der ehemalige Pina Bausch-Tänzer Pascal Merighi (Ballett), die Choreografin Kati Farkas (Ensemble-Tanz), Thomas Braus und Julia Meier (Schauspiel) sowie der Musicaldarsteller Patrick Stanke (Gesang und Interpretation). Patricia Martin schätzt das Tic und unterstützt seinen Ansatz, jungen Menschen Praxis zu geben: „Junge Leute müssen aktiv sein, sich präsentieren können, Selbstkenntnisse haben.“ Denn der Markt ist eng, weiß Valerie Bruhn: Eine Hochschule nehme im Schnitt nur zehn Studierende pro Semester auf.

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