Tanztheater: „Wir sind alle noch verletzt“
Dominique Mercy, künstlerischer Leiter des Wuppertaler Tanztheaters, über die Perspektiven der Truppe ohne Pina Bausch.
Wuppertal. Ein langer Tisch, viele Holzstühle, kahle hohe Wände. Wie in einem Tanztheaterstück der 1970er-Jahre sieht es im Besprechungsraum des Tanztheaters Wuppertal aus. Ein Computer in der Ecke bringt einen aber schnell zurück ins Jahr 2010.
Es ist wie im wahren Theater: Dominique Mercy setzt sich an den Tisch und füllt mit seiner Persönlichkeit den Raum. Er vermittelt die heitere Erschöpfung eines Menschen, der seine Arbeit liebt. "Die Stimmung ist eigentlich ganz schön", sagt er mit seinem weichen französischen Akzent. "Wir haben uns alle sehr gewünscht weiterzumachen." Auch für Pina sei es immer wichtig gewesen, nicht aufzugeben.
Pina Bausch, die das Wuppertaler Tanztheater seit 1973 geleitet hatte, ist vor knapp einem Jahr gestorben. Seitdem hat der 59-jährige Protagonist der ersten Stunde die künstlerische Leitung der Compagnie übernommen. In einigen Stücken tanzt er nach wie vor. "Wir haben unheimlich viel zu tun. Das treibt uns an." Trotzdem sei jetzt bei den Proben zu den Klassikern "Viktor" und "Danzón" zu spüren gewesen, auf welch dünnem Eis sich alle bewegen - die ersten Wiederaufnahmen ohne Pina: "Wir sind alle noch sehr verletzt und fragil."
Die ökonomische Zukunft des Wuppertaler Tanztheaters scheint gesichert: Tokio, Istanbul, Athen, Amsterdam - der Terminkalender ist bis zum Ende der Spielzeit voll. Und in der nächsten auch: Edinburgh, London, New York, Barcelona, Mailand, Taiwan, Rio, Paris, Hongkong. Die Bausch-Truppe, eine der renommiertesten weltweit, gibt mehr Vorstellungen als je zuvor. Die Compagnie hat schlicht mehr Zeit, weil nach Bauschs Tod kein neues Stück entwickelt wurde.
Doch welche Perspektive gibt es langfristig? Viele Tänzer sind weit über Fünfzig. Und will man künftig ausschließlich das Repertoire pflegen? "Wir haben schon daran gedacht, dass der kreative Prozess irgendwann wieder einsetzen muss", räumt er ein. "Doch es ist immer noch zu früh." Und es müsste ein Choreograf sein, der eine Verbindung zur Compagnie hat. "Wenn der Moment kommt, müssen wir ins kalte Wasser springen." Unbehagen schwingt in der Stimme. "Die nächste Spielzeit ist schon zu voll, da ist kein Platz für neue Stücke." Das klingt wieder erleichtert.