Spiele, Spielchen und vergebliche Liebe

Das Tanztheater Pina Bausch hat „Arien“ wieder aufgenommen. Trotz melancholischer Grundstimmung gibt es viel zu lachen.

Spiele, Spielchen und vergebliche Liebe
Foto: Anna Schwartz

Das Nilpferd tapst leicht schwankend durchs Wasser nach vorn. Da beginnt die junge Frau links am Bühnenrand zu kichern und zu lachen. Das Nilpferd dreht ab und kehrt zurück ins Dunkel der hinteren Bühne. Ist es traurig? Oder sehen wir zu viel hinein in seine behäbige Langsamkeit? Sieht auch die junge Frau zu viel hinein? Denn sie wird später die Nähe des Tieres suchen, scheint eine Zeitlang glücklich mit ihm zu sein — bis sie die Vergeblichkeit ihres Tuns begreift. Und dann ist sie diejenige, die sehr traurig ist. Anders als das Nilpferd kann sie ihrem Gefühl Ausdruck verleihen, unter anderem einem wunderschönen verzweifelten Tanz. Annäherung und Scheitern, Miteinander und Gegeneinander finden in Pina Bauschs Tanztheaterstück „Arien“ vielfältigen Ausdruck — in der Geschichte mit dem Nilpferd und zahlreichen anderen Bildern und Episoden der 22 Tänzer auf der Bühne. Und trotz der melancholischen Grundstimmung kommt es leichtfüßig daher und mit viel Humor. Nach 17 Jahren ist das Stück auf die Bühne zurückgekehrt.

Spiele, Spielchen und vergebliche Liebe
Foto: Bo Lahola

Es beginnt in einer Künstlergarderobe. Darsteller erscheinen in farbigen Bademänteln im Halbdunkel, sind mit sich selbst beschäftigt. Dann beginnt die Interaktion, Spiele, Jagden, Streit. Dabei lässt sich sehr gut mit einem wichtigen Bühnenelement spielen: mit dem knöchelhohen Wasser, das fast den gesamten Bühnenboden bedeckt. Die Tänzer spritzen einander nass, wirken tropfend noch trauriger und tanzend noch ausgelassener. Der Garderobenszene folgt ein Bilderreigen immer neuer Situationen — ein Ball, eine Beerdigung, Urlaub am Pool, ein Festessen, dazwischen abstrakte Szenen. Die Tänzer vollziehen Rituale, Spiele, zu zweit oder in der Gruppe. Mal absurd, wenn die Männer die Frauen wie Puppen grotesk ausstaffieren. Entlarvend, wenn auf der Beerdigung die Männergruppe einen Spuckwettbewerb ausführt oder bei einer Party die überfreundliche Begrüßung der Gäste zur Farce wird. Schmerzlich, wenn Zärtlichkeiten nicht erwidert werden oder zu Gemeinheiten entarten. Manchmal sehr komisch, wenn ein Tänzer sich in immer neuen Frauenkleidern in Pose wirft.uf

Zu lachen gibt es viel. Das Publikum ist amüsiert, wenn auf der Bühne Kinderreime gesungen werden, wenn ein Fotograf ohne Rücksicht auf Verluste in fast jeder Szene sein Bild schießen will, wenn die Tänzer müde Witze erzählen oder eine Tänzerin wie im Selbstgespräch Urteile zu Arien abgibt — von „zum Davonlaufen“ bis „Natürlich höre ich gern Arien, sonst wäre ich ja nicht hier“. Und wenn sich das lebensgroße Nilpferd mit stoischer Ruhe zwischen den dynamischen Tänzern bewegt.

Tanz gibt es nur wenig, dann aber traumhaft-fließende Bewegungen unter anderem von Breanna O´Mara als ins Nilpferd verliebte Frau. Besonders schöne Bilder entstehen auch, wenn die sich wie zufällig zu Formationen aufreihen, wenn sich die farbigen Kleider zu Farbverläufen ergänzen, wenn das spritzende Wasser das Licht auffängt oder die Reflektionen der Wasseroberfläche den dunkeln Raum mit flimmernden Flecken füllt. Perlende Klaviermusik von Beethovens Mondscheinsonate bis Schumanns Kinderszenen sowie männlicher Sologesang aus italienischen Opern und von den Comedian Harmonists legen fast immer den melancholischen Unterton unter die Szenen. Und manchmal darf allein das Wasser plätschern, tropfen und rauschen.

Wie revolutionär das Stück bei seiner Entstehung war, kann man nur noch ahnen. Bis heute ist es eine berührende, witzige und schön anzusehende Meditation über unsere Spiele und Spielchen sowie die vergebliche Liebe.

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