Sinfoniker: Wenn der Dirigent ein Tänzchen wagt

Nicht nur das Zuhören, auch das Zuschauen machte Spaß: Toshiyuki Kamioka „tanzte“ in der Stadthalle auf seinem Podest.

Wuppertal. "Fin de Siècle" (Ende des Jahrhunderts) betitelt das Wuppertaler Sinfonieorchester sein letztes Sinfoniekonzert der Saison. Damit deutet es Gustav Mahlers 1901 bis 1903 entstandene fünfte Sinfonie in cis-Moll als Abgesang auf das 19. Jahrhundert.

Viscontis Film "Der Tod in Venedig" entspricht dem. Er unterlegt den vierten Satz der Sinfonie, das langsame Adagietto, den ruhigen Einstellungen, die das zerfallende Venedig zeigen. Man kann der Mahler-Sinfonie aber auch Debüt-Qualitäten zusprechen, markiert sie doch den Beginn einer neuen Epoche in Mahlers sinfonischem Schaffen.

Die Wuppertaler werden beidem unter Toshiyuki Kamiokas Leitung gerecht. Seelische Abgründe und Weltschmerz legen die Musiker frei. Sie lassen den im massigen Schreiten daherkommenden Trauermarsch unheilvoll grummeln, entwickeln aggressiv vorantreibende höllische Wucht und spielen die feierliche Choralmelodie innig.

Das berühmte Adagietto ist auch ohne den Visconti-Film zum Sterben schön: Beseeltes Piano des fein flimmernden Streicher-Teppichs lässt Kamioka zum romantisch satten Klangfeld aufblühen. Das lange Scherzo setzt aufhellende Glanzlichter. Es kokettiert mit parodiertem Wiener Walzer und lässt Ländler-Melodien hüpfen. Sogar der Dirigent wagt ein Tänzchen auf einem Bein auf seinem Einen-Quadratmeter-Podest.

Als wollten die Sinfoniker noch einmal ihre ganze Qualität unter Beweis stellen, lässt dieses finale Konzert keine Wünsche offen: Sauber, durchsichtig und engagiert spielen die Instrumentengruppen.

Solistische Rollen füllen die Musiker perfekt aus, etwa das klangschöne und sauber geblasene Trompeten-Solo, das den Trauermarsch einleitet, die gefühlvoll dargebotene Horn-Episode im Scherzo oder das himmlische, dynamisch wogende Duett von Harfe und Streichern im sentimentalen Adagietto zeigen einmal mehr, dass alle Instrumentalisten zugleich überzeugende Solisten sind. Und dass sich doch alle dem gestaltenden und Akzente setzenden Dirigat unterordnen können, macht den Orchesterklang mittlerweile so unverwechselbar eindringlich.

Mozarts frühe Sinfonie in C-Dur (KV 200) ist eine luftig-leichte Einleitung zum Mahler´schen Klangkosmos. Präzise und kurz nehmen die Sinfoniker den ersten Satz, spielen ihn wirklich inspiriert ("Allegro spiritoso"). Wie ein leichter Sommerwind, der das Ohr schmeichelnd streift, wiegt sich das Andante, bevor das Menuett zwar mit bäuerischem Tanz und markanten Horn-Nachahmungen aufwartet, der sich doch rasch wieder zu graziösem Schritt wandelt. Turbulent-dialogisch beschließt das rasante Presto.

Das Publikum ist von der Darbietung der beiden so gegensätzlichen Sinfonien hingerissen und entlässt die Sinfoniker stehend und lange applaudierend.

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