Sinfonieorchester in Japan – Rückkehr einer „Heimatlosen“

Seit 33 Jahren dabei: Japanerin Keiko Kakuma-Hulverscheidt.

Wuppertal/Tokio. Als sie 1972 das erste Mal nach Deutschland reiste, war sie "wie elektrisiert". Keiko Kakuma-Hulverscheidt war 19 Jahre jung, noch nie von zu Hause weg gewesen und auf dem Weg in ein neues Leben. Nun ist die gebürtige Japanerin wieder aufgeregt - aber anders. Die Tournee, die die Sinfonikerin durch das Land der aufgehenden Sonne führt, ist nicht nur eine Dienstreise. Sie bedeutet viel mehr: Sie ist die Rückkehr in ihr altes Leben.

"Das ist schon komisch", sagt die Musikerin (1. Violine). "Als ich damals nach Berlin kam, war alles neu, alles fremd. Ich habe mich so gefühlt wie meine Kollegen jetzt. Es macht Spass, sie zu beobachten." Und ihnen hilfreich zur Seite zu stehen. Was sie am meisten gefragt wird? "Wie man nach Hause telefonieren kann." Und natürlich: "Wo kann man guten Tee kaufen?"

Keiko Kakuma-Hulverscheidt gibt gerne Auskunft. Sie lacht, sie freut sich, sie ist aber auch besorgt - um ihren Vater, der schon länger krank ist. Am einzigen freien Tag in Tokio hat sie ihn besucht. Am Sonntag wird sie ihn wiedersehen: "Er ist nicht mehr sehr beweglich, kann aber ins Konzert nach Yokohama kommen."

Dass Vater und Schwester dabei sind, wenn sie mit ihren Wuppertaler Kollegen ein anspruchsvolles Wagner-Programm präsentiert, ist ihr wichtig. Denn ohne ihre Eltern - ihre Mutter lebt nicht mehr - wäre die Sinfonikerin nicht da, wo sie heute ist: "Sie kamen damals auf die Idee, dass ich in Deutschland studieren soll." Der Grund war nicht zuletzt ein finanzieller: "In Japan ist ein Musikstudium sehr teuer, in Deutschland hingegen gab es noch keine Studiengebühren."

Also ging’s zunächst nach Berlin - mit der Vorstellung, "dass Deutschland eine Insel ist. Eigentlich wusste ich gar nicht, wo ich hinkomme." Auch der dreimonatige Sprachkurs hatte die Brahms-Liebhaberin eher spärlich auf ihr neues Leben vorbereitet. Zum Glück gab’s Pakete von zu Hause: "Meine Eltern haben japanischen Reis und Nudeln geschickt."

Auf eine Frage antwortet Keiko Kakuma-Hulverscheidt nachdenklich: Fühlt sie sich heute wie eine Deutsche oder wie eine Japanerin? "Wie eine Heimatlose", sagt sie. "Im Moment könnte ich mir nicht vorstellen, in Japan zu leben." Dafür ist sie in Wuppertal viel zu verwurzelt.

Seit 33 Jahren spielt die Elberfelderin im Sinfonieorchester. Dass sie der Stadt so lange treu bleiben würde, hätte sie 1977 nicht gedacht. "Dass ich so lange bleibe, war nicht geplant." Denn damit hatte sie nicht gerechnet: Die Japanerin verliebte sich in Konzertmeister Gert Hulverscheidt (1923-1999), der erst auf der Bühne und bald auch privat häufig neben ihr saß. "Schade, dass er die Japan-Tournee nicht mehr miterleben kann. Die Reise ist etwas ganz Besonderes."

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