Premiere Selbst-Inszenierung ohne Illusionen

Engelsgarten: Gelungene Premiere von Theresia Walsers Doppelstück über die Schauspielkunst.

„Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ (v.l.) Franz Prächtel (Miko Greza), Ulli Lerch (Martin Petschan) und Peter Söst (Stefan Walz).

„Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ (v.l.) Franz Prächtel (Miko Greza), Ulli Lerch (Martin Petschan) und Peter Söst (Stefan Walz).

Foto: Wuppertaler Bühnen/Uwe Schinkel

Gute Inszenierungen sind das Brot der Bühne. Was aber macht qualitätvolles großes Theater aus? Theresia Walsers Backstage-Doppeltheaterstück „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm und „Nach der Ruhe vor dem Sturm“ kreist um die (Selbst-)Inszenierung von Schauspielern, abgehalfterter Hitlerdarsteller im ersten, TV-Seriendarstellerinen im zweiten Teil. Menschen, die sich in ihren Rollen spiegeln - wortgewaltig und entlarvend. Bei der Premiere im Theater am Engelsgarten am Samstag nutzte das Wuppertaler Ensemble diese zwischen Komödie und Drama angelegten Abrechnungen für große Darstellungskunst.

Nina Sievers (Bühne, Kostüme) hat eine rote (Kampf-)Arena in den schwarzen Bühnenraum gebaut, lediglich Weiß- und Grautöne - der Deutschen Reichsflagge entsprechend - kommen hinzu. Schauplatz einer Podiumsdiskussion mit drei Schauspielern, die Nazigrößen (Hitler und Goebbels) verkörpert haben. Die drei warten zunehmend ungeduldig auf ihren großen Auftritt, der - man ahnt es schon - nicht stattfindet. Machen Sprech- und Lockerungsübungen, werfen sich in Pose, loten das beste Licht fürs Profil aus, versuchen einander zum Fragen- und Stichwortgeber zu instrumentalisieren. Wollen natürlich nicht zu viel preisgeben, „damit wir später noch etwas zu sagen haben. Eben ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“. Sievers hat sie in graue Anzüge gesteckt, die Uniform ist durch Schulterriemen und Gürtel, Armbinden und Brusttaschen angedeutet. Anarchische Kontrapunkte bieten nur ein paar grün-gemusterte Socken, die ab und an aus einem Hosenbein hervorgucken, und die dichten Reihen von weißen Luftballons, die überall hervor sprießen, sich nicht bändigen lassen. Ihre nur unzulängliche Anordnung zur Tischplatte löst sich rasch auf, schwebt davon. Dieses „Möbel“, Schutzwall vor den Konkurrenten, ist durchlässig. „Man hat es nicht im Griff“, stöhnt Ulli Lerch schon bald verzweifelt.

Der Youngster hat es schwer in der Runde - der aberkannten Erfahrung wegen, weil er für das junge Regietheater und seinen Weltrettungsanspruch steht und „nur“ Goebbels gespielt hat. Doch der vermeintlich blasse, treu-doofe Akteur entwickelt sich zum treffsicheren und beleidigenden Fragesteller (“Wie können Sie sicher sein, den richtigen Hitler gespielt zu haben?“) und selbstbewussten Schauspieler. Martin Petschan verkörpert diesen (Ulli) Lerch gekonnt und sympathisch. Großartig auch Mirko Greza als Franz Prächtel - entrückte, starrköpfige Diva, Held vergessener Theaterzeiten, als Sprache und Pose alles und der Regisseur nichts waren. Dazwischen ein starker Stefan Walz als Peter Söst, ein schleimiger und linkischer, überforderter Zeitgenosse, der Prächtel vergiftete Lobeshymnen singt, ein Kofferträger ist, der sein Fähnlein nach dem Wind richtet.

Zentrale Fragen haben die drei zu erörtern über die Theaterkunst und die einzig richtige Darstellung Hitlers. Theresia Walser erinnert an die 2004 nach dem Film „Der Untergang“ ausgelöste Diskussion über erlaubte oder nicht erlaubte Hitler-Verkörperungen, die durch den Film „Er ist wieder da“ 2015 neue Fahrt aufnahm. Walsers Wortwahl stellt bloß, ist ausgefeilt, von bitterbösem, hintergründigem Humor, der Zeit braucht, um zu wirken.

Das wird vor allem im zweiten Teil deutlich, der nahtlos auf den ersten folgt. Nun löst sich alles, vor allem aber sämtliche noch verbliebene Illusionen, auf. Die Schauspieler entledigen sich ihres Hemds und Jacketts, krempeln die Hosen hoch, spielen Frauen oder einfach sich selbst als Männer, die alt gewordene Frauen spielen, die von Bord des „Traumschiffs“ geschrieben wurden. Die mit schlechten, von Männern geschriebenen Rollen und einander (be-)kämpfen. Die sich die Requisiten unter dem Hintern wegziehen und das Schlusswort nehmen lassen von einem jungen Mann, der allenfalls Nebendarsteller ist. „Wir werden nie keine Schauspieler sein“, erteilt Lerch all den zuvor gezeigten Mühen um authentische und vermarktbare Selbstdarstellung eine Absage. Bleibt nur die Planung des Abgangs. Kristin Trosit (Regie) und Peter Wallgram (Dramaturgie) haben eine großartige Inszenierung zustande gebracht, die in jedem nachhallte, der dies wollte.

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