Schüsse im Kirschgarten: Eine Gouvernante rechnet ab

Was passiert, wenn Schauspieler zum Gewehr greifen, zeigt sich bei einer Probe im Opernhaus.

Wuppertal. "Wie oft soll ich eigentlich schießen?" Schauspielerin Julia Wolff fällt aus ihrer Rolle, lässt die Flinte sinken und zielt dadurch fast auf ihren Chef, doch der sitzt da wie die Ruhe selbst. Christian von Treskow weiß ja auch, dass das Ganze nur eine Probe ist.

Der Schauspiel-Intendant sieht das "Flintenweib" fürsorglich an, überlegt kurz und zählt dann bis drei: "Das Aggressive war schon super. Du solltest nur etwas langsamer sprechen. Drei Schüsse fände ich gut."

Wolff nickt - und hebt auch schon wieder die Waffe. "Ich habe schon viel gemacht, aber ich weiß nichts." Und weiter geht’s im Namen von Anton Tschechow. "Ich bin rumgetingelt, Taxi gefahren, habe einen Hundesalon eröffnet, ein Nagelstudio betrieben, habe gekellnert, gedealt, gekokst. Und dann wurde ich Gouvernante. Wer meine Eltern waren? Keine Ahnung."

Wolff geht ganz in ihrer Rolle auf: Als coole Gouvernante Charlotta steht sie im Rampenlicht, wenn "Der Kirschgarten" am 1. Oktober in Barmen Premiere feiert. Was sie daran reizt? "Charlotta unterscheidet sich von den restlichen Figuren. Ihre Tragik ist eine andere. Sie kann sich nicht erlauben, im Gefühl zu schwelgen."

Außerdem hat die Rolle auch einen ganz persönlichen Reiz, denn Wolff hält zum ersten Mal eine (Theater-)Waffe in der Hand: "Ich habe extra mit einem Jäger geübt. Das hat großen Spaß gemacht."

Damit der Schuss nicht nach hinten losgeht und Charlottas Monolog beim Publikum ins Schwarze trifft, wird allerdings nicht im Wald, sondern im Opernhaus geprobt - mit Gewehr, Geduld und Gemeinschaftssinn.

Denn am besten geht es Hand in Hand: Während Wolff und von Treskow an Charlottas Charakter feilen und drei Schüsse im Text verteilen, wird in den Werkstätten am Bühnenbild gebastelt.

Noch stehen nur einzelne Requisiten, Kulissenteile und Probekostüme zur Verfügung. Die Originale werden erst kurz vor der Premiere fertig sein. Bis dahin rechnet Wolff alias Charlotta erst einmal provisorisch ab - kontrastreich, im luftig-weißen Rock und mit schwarzem Oberteil.

Auch Oliver Picker wirft die Flinte nicht ins Korn. Der Bassist, der normalerweise den Opernchor verstärkt, wird im Kirschgarten Schauspieler: Er mimt einen Kontoristen, kann aber bei der Probe nicht aus seiner Haut. Picker gibt seinen Kollegen Gesangsunterricht - und das auch noch ausgesprochen anschaulich: "Wenn der Keller nicht gut ist, stürzt das Haus sein."

Juliane Pempelfort und Hendrik Vogt verstehen das vollkommen richtig: Nur wer aus der Tiefe seines Körpers richtig Luft holt, kann auch lange Töne meistern. Also gibt’s erst einmal die passenden Atemübungen.

Christian von Treskow, der weiß, dass man als Regisseur einen langen Atem haben muss, sieht’s mit einem Lächeln und freut sich über das Engagement des unerwarteten Gesangslehrers.

Überhaupt wird viel gelacht - vor allem über das Phantasie-Russisch, das Pempelfort und Vogt noch vom Blatt ablesen. Nicht mehr lange, und sie werden das Phantasielied mit ernster Miene im Opernhaus zum Besten geben.

Was aber passiert, wenn das singende Duo und die Kollegin mit der Flinte am Ende aufeinandertreffen? Die Antwort gibt es am 1. Oktober - wenn im Kirschgarten tatsächlich Schüsse fallen.

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