Wuppertaler Bühnen Der Schnappschuss bringt das Kleinbürgeridyll zum Wanken

Das Wuppertaler Schauspiel holte für den zwölften Teil die Szenerie von Andreas Steinhöfels „Die Mitte der Welt“ zur Hebebühne.

 Der Jugendclub des Wuppertaler Schauspiels mischte mit dem #Schnappschuss-Format die Hebebühne auf.

Der Jugendclub des Wuppertaler Schauspiels mischte mit dem #Schnappschuss-Format die Hebebühne auf.

Foto: Fischer, Andreas H503840

„Ziehen Sie sich warm an“, hieß es in der Ankündigung zum zwölften „#Schnappschuss“. Und ob – bei den frostigen Temperaturen! Der Jugendclub des Wuppertaler Schauspiels lud zur Gratis-Vorstellung vor der Hebebühne neben dem Mirker Bahnhof ein, und 50 Neugierige hielten sich mit Mützen, Schals und dicken Jacken an den Dresscode. Wem das nicht reichte, der konnte sich an den bereitgestellten Teekannen bedienen.

Die Hebebühne, wo sonst Ausstellungen und andere Events steigen, diente den jungen Spielern zwischen 16 und 23 Jahren als Umkleide und Aufenthaltsraum. Was würden sie an diesem Donnerstagabend zum Besten geben? Das wurde nicht verraten. Weder von Regisseurin Barbara Büchmann, die auf der Spielfläche herum wuselte und Mikrofone, Lautsprecher und Scheinwerfer einer letzten Prüfung unterzog. Noch von den Schauspiel-Profis Julia Meier und Konstantin Rickert, die sich mit Textblättern und Ukulele auf ihren musikalischen Auftritt vorbereiteten.

Im Laufschritt traten die jungen Schauspieler auf, die nicht Wintermäntel, sondern Plastik-Capes trugen. Im Mittelpunkt stand Luca Völkel, der als Tänzer schon bei Wuppertaler Produktionen wie „My Fair Lady“ und „Der gute Mensch von Sezuan“ mitgewirkt hat. Er stellte sich als Phil vor, sprach von seiner Mutter Glass und der Familienvilla Visible. Spätestens jetzt ahnte der Zuschauer, dass er sich in der Szenerie von Andreas Steinhöfels „Die Mitte der Welt“ befand.

Leitmotiv: Der Ausbruch
aus der Normalität

Die Theaterfassung des Steinhöfel-Romans zeigte der Jugendclub in kurzen Schlaglichtern. Leitmotiv war der Ausbruch aus der Normalität. Die Norm wurde von den „kleinen Leuten“ vertreten, wie Phil die Bewohner seines Städtchens nannte. Über die Erwachsenen, die mit manischer Hingabe Gartenzwerge auf Hochglanz polierten, konnte der Jugendliche nur den Kopf schütteln. Eines Tages werde er von hier verschwinden, schwor er sich. „Niemals!“, rief das Ensemble im Chor.

Noch schlimmer dran war Glass, eine Außenseiterin wie ihr Sohn. Darstellerin Isabell Jäger hatte es sich in der Hebebühne bequem gemacht und empfing Besuch von ihrem Liebhaber – Konstantin Rickert, der mit Cowboyhut durch den Raum stolzierte. Mit der Gemütlichkeit hatte es ein Ende, als sich ihre Nachbarn vor ihrem Domizil zusammenrotteten und die Hebebühnen-Fenster mit blutroter Farbe beschmierten.

Endgültig ins Wanken geriet die Kleinbürgeridylle, als der „Neue“ – Auftritt Moritz Kettelmann im satten Scheinwerferlicht – auf der Bildfläche erschien. Als er Phil über den Weg lief, war das der schüchterne Beginn einer Jungenliebe. Phil wollte sich Rat bei Glass holen und bekam ein, zwei, nein, drei Ratschläge mit auf den Weg. Was Luca Völkel die Hände ringen ließ, das Publikum aber herzlich zum Lachen brachte.

Der Entfremdung von der Erwachsenenwelt gab das Duo Meier und Rickert eine Stimme. Der Song ihrer Wahl war „Oft gefragt“ von der Kölner Band AnnenMayKantereit. Die Ernüchterung klang aus jeder Zeile: „Wir sind umgezogen, ich hab dich angelogen. Ich nehm keine Drogen, und in der Schule war ich auch.“

Für Musiker wie Darsteller fiel der Schlussapplaus kräftig aus. Danach öffnete die Hebebühne ihre Pforten, damit sich alle aufwärmen konnten. Das sei nur eine Kostprobe gewesen, erklärte Barbara Büchmann den Gästen. Wenn „Die Mitte der Welt“ ab April am Engelsgarten gespielt wird, will der Jugendclub eine anderthalbstündige Fassung präsentieren.

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