Aufführung Das Operhaus wird zum Logistikzentrum

Schauspiel Wuppertal inszeniert Hauptmanns „Die Weber“ - Beitrag zum Engelsjubiläumsjahr.

 Kümmern sich um Engels und Hauptmann: (v.l.) Jan Krämer (Video), Anne Manss (Bühne und Kostüm) und Martin Kindervater (Inszenierung).

Kümmern sich um Engels und Hauptmann: (v.l.) Jan Krämer (Video), Anne Manss (Bühne und Kostüm) und Martin Kindervater (Inszenierung).

Foto: Schwartz, Anna (as)

Das Opernhaus wurde verkauft. Das Unternehmen XXX richtet in dem altehrwürdigen Gemäuer in Barmen ein Logistikzentrum ein. In Coronazeiten scheint eben alles möglich. Während viele Job und Zukunft verlieren, viele Kunstschaffende vor dem Aus stehen, profitieren Amazon und Konsorten. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die schon Friedrich Engels umtrieb, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. Das Schauspiel Wuppertal ehrt ihn mit einer aktuellen, keinesfalls historisierenden Inszenierung von Gerhard Hauptmanns „Die Weber“. Am 2. Oktober ist Premiere im Opern-Logistikzentrum.

Für das Engelsjubiläumsjahr plant das Schauspiel drei Diskussionsforen, drei Schnappschüsse, die nach dem Lockdown-Aus nun ab November stattfinden sollen, und den Klassiker um den Aufstand der schlesischen Baumwollweber aus dem Jahr 1892. Weil der Autor wie der große Revolutionär die soziale Frage thematisierten und Wuppertal Web-Stadt war, erklärt Intendant Thomas Braus. Die enge Verbindung sollte durch viele Mitwirkende, auch aus der Bevölkerung, unterschiedliche Spiel-Orte in der Stadt und die Übertragung der Ideen ins Jetzt ausgedrückt werden.

Die Coronakrise kam dazwischen, dampfte mit ihren Vorschriften das Volumen deutlich ein. Und verhalf doch dazu, dass die Inszenierung, die Martin Kindervater jetzt vorbereitet, fokussierter ist, ohne Eindeutigkeit anzustreben: „Wir wollen Denkanstöße liefern, Perspektiven schärfen, Fragen stellen“, erklärt der Regisseur. Die Ambivalenz, die auch in Hauptmanns Stück stecke, indem er das Ende offenlasse, werde bewusst übernommen, ergänzt Dramaturgin Barbara Noth.

Die soziale Frage ist nicht gelöst. Ob Weber im 19. Jahrhundert, deren Heimarbeit zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel einbrachte, oder Niedriglohnempfänger und in Selbstausbeutung arbeitende Solo-Selbstständige im 20. Jahrhundert: „Auch heute und auch in Wuppertal gibt es Prekarisierungstendenzen in der Dienstleistungsschicht“, stellt Kindervater den Gegensatz von „obszönem Reichtum und Hungerlohn“ in den Mittelpunkt. Überträgt dafür die Baumwollherstellung bei Hauptmann in die symbolträchtige Logistikbranche, die gerade in der Coronakrise wahnsinnige Wachstumsraten auf Kosten der Mitarbeiter erfährt, die oft auf eigenes Risiko arbeiten. Auch in Wuppertal, wo passenderweise Amazon und DHL derzeit große Zentren bauen.

Schere zwischen Reichtum und Armut klafft weiter auseinander

Der Unternehmer Dreißiger ist nun der fiktive Unternehmer XXX, kein Unhold, sondern durchaus sympathischer Zeitgenosse, dem man schnell auf den Leim gehen kann. So wie auch Jeff Bezos und seine Kollegen nett daherkommen. Doch unter dem Mantel der umsorgenden Unternehmensdarstellung steckt rücksichtsloses Gewinnstreben. Was die Logistikzentren durchaus auch mal in Corona-Hotspots verwandeln kann, meint Kindervater und kündigt an, dass die Coronaschutzmaßnahmen auf der Bühne natürlich eingehalten und offensiv thematisiert werden – bis hin zu den Alltagsmasken, die in Heimarbeit genäht werden.

Wie Anne Manss (Bühne und Kostüme) die Oper in ein Logistikzentrum verwandelt, in dem das Publikum zu Gast ist, wird noch nicht verraten. Fest steht aber, dass Corona nicht nur die Anzahl der Protagonisten reduziert, sondern auch neue Ausdrucksformen fördert.

Die der Videografie, die neue Ebenen eröffnet, zum Beispiel weitere Locations, die ehedem mal analog einbezogen werden sollten. Jan Krämer lässt Dokumentationen einblenden, macht Liveaufnahmen, fuhr für Filmdrehs mit den Schauspielern durch die Stadt: Die Videos sollen „das Bühnengeschehen auf spannende und abgefahrene Art unterstützen“, verspricht er.

Und nebenbei auch noch der Tatsache Rechnung tragen, dass Hauptmann die fünf Akte seines Stücks an fünf Orten spielen lässt. Kindervater: „Es soll ein Spiel zwischen den Akteuren, Bühne und Video entstehen.“ Überraschungen eingeschlossen. So dass die Systemfrage auf kunstvolle, spielerische, politische, nicht belehrende Art gestellt wird.

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