Premiere „Der Drang“ macht das Lachen schwer

Premiere: Das Schauspiel Wuppertal führt das kritisch-aufklärerische Volksstück „Der Drang“ von Franz Xaver Kroetz im Theater am Engelsgarten auf.

 Stefan Walz als Otto und Philippine Pachl als Mitzi in einer Szene von „Der Drang“.

Stefan Walz als Otto und Philippine Pachl als Mitzi in einer Szene von „Der Drang“.

Foto: Uwe Schinkel / Schauspiel/Uwe Schinkel

Am Ende sind alle Menschen Tiere. Wer nicht mitmachen will oder kann, wird ausgeschlossen. Eine Komödie habe er schreiben wollen, geerdet an die Wirklichkeit und deren ununterbrochene Schrecknisse, hat Franz Xaver Kroetz dem Magazin „Der Spiegel“ 1994 über sein Stück „Der Drang“ gesagt, das damals Deutschlands Bühnen eroberte. Nun nimmt sich das Wuppertaler Schauspiel in Theater am Engelsgarten des kritisch-aufklärerischen Volksstücks mit deutliche bayerischer Note an. Peter Wallgrams Inszenierung versuchte den Balanceakt, menschliche Armut und Brutalität schonungslos und zugleich mit Zuneigung, Humor und Poesie offenzulegen. Das glückte nicht immer (konnte es auch nicht) - das Lachen blieb bei der Premiere oft genug im Halse stecken.

Als Kroetz 1971 „Lieber Fritz“ schrieb, da war er ganz sozial engagierter, Tabus brechender Autor. Ließ beschädigte Alltagsmenschen, trotz aller Zuneigung, die er für sie empfand, (selbst-)zerstörerisch aufeinader los. 23 Jahre später und auf die 50 gehend meinte er, dass der ältere Mensch die jugendliche Tendenz zur Tragödie ablege und sich in kapitalen Missständen einrichte. Und so führen in „Der Drang“, das Kroetz damals aus „Lieber Fritz“ entwickelt hatte, am Ende (fast) alle das Leben fort, das sie zuvor vehement bekämpften: Die unglücklich verheirateten Hilde und Otto bleiben zusammen, die unglückliche Mitzi bleibt trotz lebensgefährlicher Demütigung bei ihnen. Und Fritz, der durch sein Erscheinen ihr Leben kräftig durcheinander gewirbelt hatte, verschwindet. Einmal Außenseiter immer Außenseiter. Verlierer sind gleichwohl alle.

Einmal Außenseiter —
immer Außenseiter

Fritz ist wegen Exhibitionismus verurteilt worden, kommt nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis bei Schwester und Schwager unter, die eine Friedhofsgärtnerei betreiben. Vierte im Bunde ist die Angestellte Mitzi. Während Fritz seinen Drang medikamentös unter Kontrolle hält, bringt er die drei in allerhöchste Bedrängnis, die sexuellen Fantasien von Otto und Mitzi steigern sich ins Unendliche. Mitzi versucht ihn zu verführen, scheitert und bändelt mit Otto an, der sich als Mann herausgefordert fühlt. Liebe wird entdeckt, verloren gegangenes Beziehungsterrain inklusive Mordanschlag am offenen Grab zurückerobert, dank Erfüllung ehelicher Pflichten im Bett die gutbürgerliche Ehe wiederhergestellt.

Eine Haussilhouette aus Holzlatten, die eine riesige Plastikfolie umspannen, davor eine Fläche aus Erde, aus der sich die Akteure an vor definierten Stellen/Gräbern heraus winden oder wieder hinein schlüpfen - und fertig ist die multifunktionale Friedhofsgärtnerei. Im Treibhaus mit Klimaanlage kochen die Emotionen durch Lichteffekte unterstützt hoch. Sandra Linde hat diesen einfachen wie effektiven Ort geschaffen, steckt die Akteure in Lederhose und Dirndl, unter denen mittels Polstern überproportionale Genitalien versteckt sind, die - schließlich entstand das Stück in einer Zeit, da Nacktheit auf der Bühne noch Sensation war - auch gezeigt werden müssen. Überhaupt wird onaniert, gevögelt, werden unechte Gemächte und Busen mehr oder weniger freiwillig bloßgezogen und ansonsten über Liebe gesprochen oder was man dafür hält. Für romantische Momente sorgen zuaberhafte Choreinlagen, Zitter- oderHarfenmusik.

Zum titelgebenden Drang aber passt stampfende Discomusik besser. Vor allem Otto, Stefan Walz überzeugt als primitiv-verwahrlostes, bajuwarisches Mannsbild, kann nur noch an seinen Trieb denken. Wobei es ihm vor allem ums anale Penetrieren geht, das er und Mitzi, wunderbar stampfig-naiv von Philippine Pachl angelegt, mit Liebe gleichsetzen. Während Konstantin Rickert Fritz ein Getriebener mit ängstlichem Blick ist, der wie eine Billardkugel hin und her springt. Hilde schließlich, die Maresa Lühle teilweise an Ekel Alfreds Else erinnern lässt, kommt vor allem zum Schluss in Fahrt, wenn sie wortgewaltig um Haus und Mann kämpft.

Kroetz hat auch ein bayerisches Volksstück geschrieben, das mit seinen Figuren, ihrer derben Sprache und ihren schön falschen Sätzen nur dort so sein kann wie es ist.

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