Kultur „Saudade“: Neu entdeckte Sehnsuchtsorte

Christian Reimann öffnet an der Schlossbleiche eine Galerie. Hinter seinen aufwendigen Fotoarbeiten stecken interessante Geschichten.

 Christian Reimann öffnet an der Schlossbleiche seine Galerie.

Christian Reimann öffnet an der Schlossbleiche seine Galerie.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Saudade heißt Sehnsucht, und um Orte der Sehnsucht geht es Christian Reimann. Seine persönlichen und die anderer. Ein persönlicher ist sicherlich die Schwimmoper, in der der 1972 geborene Wuppertaler jeden zweiten Tag schwimmt. Das Gebäude auf dem Johannisberg ist natürlich auch eines seiner Motive, die er mit hohem Aufwand in bis zu drei mal ein Meter große, hochauflösende Fotokunstwerke verwandelt. Neun solcher Arbeiten stellt er in seiner neuen Galerie „Saudade“ an der Schlossbleiche aus. Am 20. September findet die Vernissage statt.

Durch den Vater, einen passionierten Eisenbahn- und Straßenfotograf, kommt Christian Reimann schon in jungen Jahren mit dem, damals noch analogen, Fotografieren in Kontakt, besucht eine Foto-AG an der Schule. Nachdem er Lehramtsstudium und Referendariat absolviert hat, erinnert sich der Lehrer an sein Hobby, das er wieder aufnimmt und nun digital verfolgt. Dabei entwickelt er Ehrgeiz, Schnappschüsse sind nicht sein Ding, sucht nach Motiven, die möglichst in der Nähe und zugleich so noch nicht festgehalten worden sind, beim x-ten Hingucken noch Neues bieten. Die, wie im Fall des Gaskessels in Heckinghausen, dessen Dachkonstruktion er von unten fotografiert, als er leergeräumt und noch nicht umgebaut ist, mittlerweile Vergangenes bannen. „Ich frage mich auch immer, ob ich mir das Bild selbst an die Wand hängen würde.“

Hat sich der Fotograf für ein Motiv entschieden, beginnt die Vorbereitung, bei der die Positionsfindung für den neuen Blickwinkel essentiell ist. „Es gibt mir einen gewissen Kick, alles gut vorzubereiten, konzentriert vorzugehen. Das ist aber auch aufwendig und teuer.“ Für den Neumarkt mitsamt Rathaus in Elberfeld stellte er sich auf das Dach eines Gebäudes, was bei minus 2 Grad im Februar nicht nur ein Höhenproblem bedeutete, sondern die Technik an ihre Grenzen brachte. 40 Einzelbilder schoss er hintereinander, im Nu war eine Stunde um.

Reimann macht Bracketing-Aufnahmen mit verschiedenen Belichtungszeiten, damit alle dunklen und hellen Töne in ihrer Dynamik sichtbar werden. Zuhause begutachtet er die Ergebnisse, bevor sein Freund, der Kölner Fotokünstler André M. Hünseler, die Bildnachbearbeitung übernimmt. Mit feinster, detail- und zeitintensiver Acryl-Alu-Dibond-Technik werden die Fotos schließlich gedruckt. Reimann: „Wir reizen foto- und kameratechnisch alles aus, überlegen, wie wir das nächste Qualitätslevel erreichen können.“ Seit 2017 macht er auch Luftfotos, die ebenfalls ungewöhnliche Ansichten seiner Heimatstadt erlauben.

Ungewöhnliches erlebt der Wuppertaler auch beim Fotografieren. Als er auf der Wiese neben der Wupper nahe der Kreuzung Alter Markt in Barmen lag, um einen himmelblauen Schwebebahn-Waggon von unten im Spiegel des Wassers abzulichten, nahten plötzlich von beiden Seiten Polizisten und forderten ihn zum sofortigen Abbruch seines Tuns auf. Eine Erklärung erhielt er nicht. Also holte er sich am nächsten Tag eine Genehmigung der Stadt und setzte seine Absicht im zweiten Anlauf um. “Das sind dann schon Glücksmomente“, erzählt Reimann und betont, dass er in der Regel viel Hilfsbereitschaft und Unterstützung erfährt.

Den Traum der eigenen Galerie erfüllt er sich gemeinsam mit Hünseler, der eigene Städte-Kunstfotos beisteuert. Und mit Hilfe eines Freundes, der ihn aufforderte, seine Bilder auch anderen zu zeigen, ihm die Räumlichkeiten an der Schlossbleiche vermietet. Im April machte sich Reimann daran, die zirka 40 Quadratmeter herzurichten, die vor ihm ein Schuhsohlengeschäft belegt hatte. Er leerte die Räume, strich sie schwarz, legte Teppichfußboden und kümmerte sich um die richtige Ausleuchtung seiner Werke. Bodentiefe Fenster an zwei Seiten der Galerie dienen als eine Art Schaufenster und erlauben den Blick ins Innere, das durch ein großes, rotes Couchoval dominiert wird. Verkaufen will der Lehrer natürlich auch, er hat sein Unterfangen mit dem Beamtenrecht abgestimmt. Im Vordergrund stehen ihm aber Wertschätzung, Anerkennung, der „Spaß an der Freud“ und die Wuppertaler, denen er zeigen will, „dass ihre Stadt nicht so hässlich ist, wie es immer wieder heißt“. Sein Vater hat zugesagt zur Vernissage zu kommen.

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