Premiere: Caligula manipuliert in Wuppertal

Martin Kloepfer inszeniert „Caligula“ als eindringliches Kammerspiel.

Wuppertal. Der Tyrann ist ein armes Würstchen. Auch wenn auf seiner Kochschürze anderes steht: „Viel Feind, viel Ehr’ “, heißt es da. Doch Caligula (Gregor Henze) kann den Grill noch so betont locker auf die Bühne schieben: Den Untertanen bleibt das seltsame Mahl sprichwörtlich im Halse stecken.

Dabei müssen sie keine Kalorien, wohl aber die Willkür ihres launischen Herrschers fürchten: Der Kaiser, der Hirngespinste, aber kein Mitleid kennt, serviert, was gar nicht existiert. Die Würstchen, die er auf Pappschachteln verteilt, sind pure Luftgebilde. Immerhin: Der Senf, den Helicon (Lutz Wessel) als Handlanger dazugibt, ist real.

Ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Denn Regisseur Martin Kloepfer serviert im Kleinen Schauspielhaus eine satte Portion Ironie. Sie beinhaltet zwar die ein oder andere Prise Klamauk, aber immer wenn man denkt, dass der Tyrann um des bloßen Effekts Willen zum Scherzkeks degradiert wird, besinnt sich der Regisseur auf die eigentliche Botschaft des Stücks, würzt mit der nötigen Schärfe nach und schafft intime Momente, in denen der Zuschauer nur eines tun kann: den Atem anhalten.

So wird „Caligula“ zum subtilen Kammerspiel, bei dem das Publikum nie weiß, ob die Figuren gerade ihre Henkersmahlzeit erleben und resignieren — oder aber den Spieß umdrehen und aus dem aberwitzigen Amokläufer Gulasch machen.

Dass das Rezept der Wuppertaler Bühnen aufgeht, liegt vor allem an Gregor Henze, der Caligula nicht der Lächerlichkeit preisgibt, obwohl es genug Möglichkeiten gäbe. Gesichtsmaske, Glitzerunterhose und skurrile Grillgelüste: Der junge Kaiser, der den Tod seiner geliebten Schwester nicht verkraftet, hat jeden Anstand, aber auch die eigene Würde verloren. Er zwingt die Patrizier dazu, ihren Kaiser heuchelnd zu feiern oder sich selbst gegenseitig zu vergiften. Doch hinter der Maske zeigt sich sein wahres Gesicht: Während er foltern, vergewaltigen und morden lässt, ist er selbst längst gefühlstot.

Albert Camus schrieb „Caligula“ 1938. Da war er 25 Jahre alt — und schon von der Sinnlosigkeit des Lebens überzeugt. In seinem ersten Stück führt er sie mit philosophischer Eindringlichkeit vor. Der Mensch, zumindest der herrschende, ist so grausam wie Gott.

Anspielungen auf Hitler und Stalin drängen sich förmlich auf. Doch Kloepfer klammert sich nicht ausschließlich an Historisches, die Qualität seiner Inszenierung liegt in der zeitlosen Interpretation: Wie weit kann man gehen, was lassen Menschen mit sich machen, wann sollte man aufbegehren?

Als Caesonia, die sich von der sarkastischen Maitresse zur verzweifelt Liebenden wandelt, hat Sophie Basse eine Schlüsselrolle, die sie von Anfang an bravourös ausfüllt — herrlich auch die Szene, in der sie mit Lutz Wessel das Verkaufsfernsehen verspottet.

Henze hingegen wird immer stärker, je mehr er zum unberechenbaren Despoten wird. Anfangs ist er ein leise sprechender Kindskopf — mit Trainingsjacke und einer zotteligen Langhaar-Frisur, wie sie Jesus-Darsteller, aber auch Reggae-Musiker tragen. Doch der spitzfindige Großkotz endet als verhinderter Künstler. Denn: Der Tyrann ist nicht nur ein armes Würstchen, er ist auch ein trauriger Clown, dem kein Pathos gebührt und dem deshalb auch profane Bierkrüge zum Verhängnis werden.

Patrizier, die sich bezeichnenderweise hinter Masken verstecken, lassen die Krüge auf dem Kopf des Kaisers so kleinteilig zerbersten, dass Zuschauer in der ersten Reihe in Deckung gehen sollten. Bei der Premiere am Donnerstagabend hielten sie erst einmal kurz inne, um das zu verdauen, was Kloepfer auftischt. Danach gab es, was kein Despot, aber exzellente Schauspieler verdienen: viel Applaus für ein entlarvendes Spiel um Machtgelüste, Mitläufer und Manipulation.

Regie: 4 von 5
Bühne: 4 von 5
Ensemble: 4 von 5

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