Tanztheater Pinas Blaubart geht wieder unter die Haut

Rekonstruktion des Bausch-Stücks über Béla Bartóks Oper wurde in Wuppertal gefeiert. Die erste Aufführung nach 26 Jahren.

 Szene mit Oleg Stepanov als Blaubart und Tänzerinnen vom Ensemble.

Szene mit Oleg Stepanov als Blaubart und Tänzerinnen vom Ensemble.

Foto: Klaus Dilger

Bei der Uraufführung 1977 wurden noch Türen laut zugeschlagen. Das blieb am Wochenende im Opernhaus aus. Auf der Bühne vorgeführte Gewalt zwischen Frau und Mann schockiert heute nicht mehr. Beklemmend und aktuell wirkt sie dennoch. Die Beziehungen zwischen den Geschlechtern sind auch über 40 Jahre später alles andere als harmonisch. Wie zuletzt #metoo weltweit gezeigt hat. Revolutionär und mutig war das, was Pina Bausch mit ihrem Stück „Blaubart. Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper ,Herzog Blaubarts Burg’“ schuf, aber auch auf eine andere Weise. Die performative, Grenzen überschreitende Umsetzung ist ein Meilenstein in der Entwicklung des Tanztheaters und im Schaffen der Choreographin. Die aktuelle Aufführung wurde mit stehenden Ovationen gefeiert.

26 Jahre war das Stück nicht mehr in Wuppertal gespielt worden. Die Inszenierung, die am Freitag Premiere feierte, ist eine sorgsame Rekonstruktion mit 22 jungen Tänzern der Compagnie und der Folkwang Hochschule sowie Probenleitern, die früher selbst auf der Bühne standen, das Stück teilweise entscheidend mitgeprägt haben. Allen voran Jan Minarik und seine Frau Beatrice Libonati, die die künstlerische Leitung übernahmen, ihnen zur Seite Barbara Kaufmann und Héléna Pikon. In die Titelrollen von Blaubart und Judith schlüpften Oleg Stepanov und Tsai-Chin Yu.

23. Akteur auf der Bühne ist wieder das Tonband, das Blaubart bedient und auf einem Wägelchen über die Bühne zieht. Béla Bartóks 1911 komponierte Oper in einem Akt verwebt folkloristische und französische impressionistische Elemente, das Libretto beginnt mit dem Eintreffen Judiths in Blaubarts Burg, erzählt das Öffnen der sieben Türen und endet mit der Trennung der beiden Charaktere. Pina Bausch erzählt die Oper nicht nach, sie bedient sich ihrer Motive. Einzelne Sequenzen werden abgespielt, gestoppt und oftmals wiederholt. Sie geben das Kommando für das Geschehen auf der Bühne, finden am Ende im Klatschen Blaubarts ein Echo. Über das Abhören entwickelt sich das Tun.

Quälend, zwanghaft
und verzweifelt

Ein Tun, das quälend, zwanghaft, verzweifelt ist. Die Bewegungsabläufe erscheinen aus rückblickender Sicht manchmal nur typisch. Viel öfter strapazieren sie, wenn sie Vergewaltigung andeuten. Wenn Frau zum seelenlosen Körper schrumpft, den Blaubart zu Fleischbergen türmt, von dem er nicht los-, aber mit dem er auch nicht klar-kommt. Wenn Frau sich und ihre Liebe immer wieder andient, stattdessen aber benutzt und weggestoßen wird. Wenn Hingebungsgesten des Mannes nicht erwidert werden. Frau und Mann sind in Situationen und Gefühlen gefangen, es gibt kein Entkommen, keinen Anfang und kein Ende. Selbst wenn sich die Männer in knallfarbenen Samtunterhosen aufreihen und ihre Muskeln demonstrativ spielen lassen, gerät ihr Lächeln zur Fratze, wirken ihre Posen absurd, das Anhimmeln der Frauen unecht.

Die (selbst-)zerstörerischen Umgangsweisen zwischen den Geschlechtern werden entlarvt und durch Wiederholungen und vielfache Spiegelungen von Judith und Blaubart in den Tanzpaaren verstärkt. Neue Blickwinkel und eindrucksvolle wie belastende Bilder werden in die klassische Choreographie eingewebt. Die Tänzer werben, höhnen, stöhnen und schreien. Der Zuschauer muss das alles aushalten, ebenso die Nähe der Darstellung, die nicht in einer abgehobenen märchenhaften Burg, sondern in einem heruntergekommenen Altbauzimmer stattfindet. Auf dem Boden braunes Laub – Zeichen der Vergänglichkeit, das die Spuren der Verwüstung, des Schleifens, Zerrens, Abmühens, Anrennens unerbittlich abbildet.

Auch die Rekonstruktion des Pina Bauschs Stücks wirkt, geht unter die Haut. Der historische Kontext ist ein anderer, die Frauenbewegung der 70er Jahre Vergangenheit, Machtkampf und (Macht-)Missbrauch dauern an. Die Erforschung der zwischenmenschlichen Beziehungen ist längst nicht am Ende.

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