Orchester spielt sich in einen Rausch

Die Sinfoniker ernten mit Musik russischer Komponisten tosenden Applaus.

Wuppertal. Mit dem ersten Sinfoniekonzert in der Historischen Stadthalle bot das Sinfonieorchester Musik russischer Komponisten von der Spätromantik bis zur Gegenwart. Romantisch ist in Tschaikowskys erstem Klavierkonzert (b-Moll, op. 23) die mitreißende Melodie eines ukrainischen Volksliedes im Kopfsatz und die Innigkeit des Ausdrucks, die vielen Passagen innewohnt.

Der junge russische Pianist Yevgeny Sudbins scheint den Klavierpart mit Leib und Seele verinnerlicht zu haben: Virtuos rauscht er durch die mächtigen Klavierskalen, unbeirrbar in Rhythmik, Grifftechnik und Dynamik. Nur manchmal muss er verstohlen die Hand ausschütteln, bei so viel pianistischer Schwerstarbeit. Dann aber das delikate „Andante semplice“: Mit glitzernden Skalen umspielt das Klavier die Melodie, wirbelt die Motive zu brillanten Kaskaden und endet ganz verträumt.

Unter Toshiyuki Kamiokas fesselndem Dirigat sprechen Solist und Orchester die gleiche musikalische Sprache. Sie steigern die Tanzmelodien im feurigen Schlusssatz zum glanzvollen Höhepunkt. Das begeisterte Publikum erhält die cis-Moll Etüde von Alexander Skrjabin vom Pianisten als Zugabe: Diesmal mit ausatmender Ruhe vorgestellt.

Skrjabin beherrscht auch nach der Pause das Programm mit seiner vierten Sinfonie „Le poème de l´extase“ (op. 54): Eine große Aufgabe für den Dirigenten, der sein Orchester durch die scheinbar undurchdringlich-verwobene Partitur leiten muss.

Dass der menschliche Geist zu Höhenflügen fähig ist, was zur Erlösung wie zur Ekstase führen kann, wollte Skrjabin in seiner Musik hörbar machen. Tastend und suchend, leise und zufällig beginnt sie, steigert sich energisch, etwa mit willensstarken und triumphalen Trompetensignalen und fällt wieder zurück — mit Flöten-Seufzern oder sanften Violinmelodien. Dann aber beherrschen kreischende Klang-Cluster das unruhige Geschehen, bevor sanftes Flattern wie von Insektenflügeln vorüber geistert. Kamioka steht breitbeinig und sicher wie der Fels in der Brandung und darf sich über rauschenden Applaus freuen.

Mit Sofia Gubaidulinas „Märchen-Poem“ von 1971 sammelten Orchester und Dirigent aber erst einmal Kraft für die Ekstase. Im zugrunde liegenden Märchen „Die kleine Kreide“ geht es um den Prozess des sich Auflösens. Gubaidulina hat ihn in Musik gesetzt. Schwebend und unbestimmt, mit bezwingenden Dissonanzflächen und vielen Soli entfaltet das Werk seine beruhigende wie anregende Wirkung.

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