Oper Am Anfang war das Chaos

Wuppertal · Interaktive Oper „Chaosmos“ eröffnet neue Serie „NOperas!“. Uraufführung findet im Januar in der Wuppertaler Oper statt.

 Konrad Kästner ist Regisseur von „Chaosmos“.

Konrad Kästner ist Regisseur von „Chaosmos“.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Ohne Chaos keine Ordnung. Was sich so leicht sagt, entwickelt bei genauerem Hinsehen grundsätzliche Bedeutungsschwere, setzt Gedanken frei, die das einfache Aufräumen weit hinter sich lassen. Tobias Rausch, Konrad Kästner und Marc Sinan haben daraus eine experimentierfreudige und interaktive Oper entwickelt, die alles andere als (un)ordentlich ist.

Und damit bestens ins Format „NOperas!“ passt, das vom Fonds Experimentelles Musiktheater initiiert wurde und von den drei Theatern Wuppertal, Halle und Bremen drei Spielzeiten lang mit Leben gefüllt wird. „Chaosmos“ ist die erste Produktion, die Wuppertaler zeichnen für sie verantwortlich. Am 11. Januar 2020 wird sie im Opernhaus in Barmen uraufgeführt – als weitere Oper der Reihe „on stage“ und zum Auftakt des Förderprogramms.

Ein fiktives Paketzentrum
auf der Bühne

Im Zentrum der interaktiven Gabelstapler-Oper steht besagtes Transportfahrzeug. Drei Paketrutschen, Regale und zwischen 400 und 500 Pakete komplettieren das fiktive Logistikzentrum, das auf der Bühne aufgebaut wird. An drei Seiten drumherum sitzen die insgesamt 156 Zuschauer, an der vierten Seite drängen sich Musiker des Sinfonieorchesters.

Die Zuschauer bestimmen den Musikverlauf, indem sie die in durchsichtigen DinA4-Mappen untergebrachten Noten auswählen. Kästner, der sich mit Rausch die künstlerische Leitung teilt, Regie führt und „atmosphärisch unterstützende“ Videoprojektionen besteuert, erklärt: „Das Publikum bestimmt die Reihenfolge der einzelnen Instrumentenstimmen. Wird so zum Musiklogistiker.“

Die Musik besteht vor allem aus Kompositionen von Sinan, der zusammen mit dem ersten Kapellmeister des Sinfonieorchesters, Johannes Pell, die musikalische Leitung inne hat.

Und natürlich aus Bach, dem „strukturiertesten aller Musiker“, so Operndramaturg David Greiner. Auch wenn sich also die Reihenfolge der Musik immer wieder ändert, stehen ihre einzelnen Sequenzen fest und, so Kästner, wurde bei den einzelnen Kompositionen berücksichtigt, dass sie stets zusammenpassen.

Am Anfang stand eine Frage: Tobias Rausch beobachtete, wie sein kleiner Sohn Bauklötze feinsäuberlich sortierte. Obwohl doch der Ordnungssinn gemeinhin erst anerzogen wird.

Er erzählte Kästner, den er von gemeinsamen Projekten kannte, das Erlebte. „Woher kommt Ordnung und was ist überhaupt Ordnung?, haben wir uns gefragt“, erinnert sich der Regisseur.

Bei der Suche nach Antworten kam die Idee eines Stücks zum Thema auf, holten sie Marc Sinan für den musikalischen Part hinzu und entdeckte Rausch die Ausschreibung von „NOperas!“.

Unter 72 Bewerbern setzte sich das Trio Anfang 2019 durch, seit Dezember wird in Wuppertal geprobt. Die Protagonisten, vier Sänger und zwei Schauspieler, mussten sich erstmal daran gewöhnen, dass in Modulen und mit Regieanweisung über Headset gespielt wird.

Ein Kunstwort aus
„Chaos“ und „Kosmos“

Der Titel „Chaosmos“ ist ein Kunstwort, das sich aus Chaos und Kosmos zusammensetzt, was an die griechische Mythologie anknüpft, die aus dem Chaos den Kosmos, die Welt entstehen ließ. Ein Logistikzentrum, so Kästner, sei ein solcher abgeschlossener Kosmos, eine eigene Welt, in der stets etwas sortiert werde – Gedanken, Weihnachtspäckchen, soziokulturelle Strukturen...

Was ist, wenn ein solches Logistikzentrum aus den Fugen gerät, nicht mehr funktioniert, die Logik bröckelt? Auf der Suche nach dem Masterplan, mit dem der streikende Paket-Ein- und -Ausgang repariert werden kann, öffnen die Mitarbeiter Jay und Joe trotz Verbots drei Päckchen, die drei Geschichten zum Thema Ordnung und ihre nicht immer erfreulichen Nebenwirkungen wie Armut oder Willkür transportieren: die oft als Vorbild dienende Ordnung der Natur, die Carl von Linné (1707 bis 1778) aufzeichnete; die Arbeit eines deutschen Kartographen an der deutsch-portugiesischen Grenze zwischen Südwestafrika (heute Namibia) und Angola während der Kolonialzeit, die abstrakte Strukturen mit geographischen und historischen Realitäten überein bringen musste; schließlich die strukturierend wirkende Erfindung der Hochseecontainer durch den Unternehmer Malcom P. McLean, die den Nachschub des US-amerikanischen Militärs im Vietnamkrieg sicherte. Konrad Kästner verspricht: „Wir erzählen Geschichten, die man so noch nicht kannte.“

Notwendigkeit
von Ordnung

Geschichten, die politisch verstanden werden können als Kritik am globalisierten Handel, Herrschaftswillkür oder Flüchtlingsleid, die aber auch die Notwendigkeit von Ordnung in Frage stellen können. „Wie ist die Struktur entstanden, ist sie wirklich gottgegeben?“, fragt Konrad Kästner. Und nicht nur er.

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