Nefés: Das Stelldichein der fröhlichen Schaumschläger

Die Türkei-Hommage des Tanztheaters Wuppertal begeisterte an vier Abenden in Barmen.

Barmen. Hamam, Honig und Heiterkeit: Wer mit dem Wuppertaler Tanztheater in die Türkei reist, erlebt die Leichtigkeit des Seins. Da fällt es nicht schwer, begeistert zu sein — zumal das Ensemble einen langen Atem beweist. Der Titel soll schließlich Programm sein: „Nefés“ bedeutet so viel wie Atem. Vier Mal „Nefés“, das bedeutet auch: vier Mal drei Stunden lang fließende Harmonie, vier Mal Tanztheater auf höchstem Niveau und vor allem vier Mal ausverkauftes Haus.

Die Türkei lässt grüßen — mit viel Fröhlichkeit und verhältnismäßig wenig Melancholie. Der Schwermut, der sich in vielen Pina-Bausch-Stücken wie ein dunkler Schleier auf das Gemüt legt, hat bei „Nefés“ keine Chance zur ungebremsten Entfaltung.

So ist es nur bezeichnend, dass Cristiana Morganti — in einer der wenigen Sprechszenen — auf die Frage eines Mitspielers („Was machst du da?“) süffisant die passende Antwort findet: „Grundlos lächeln. Das sieht einfach aus, ist aber schwer.“ Das könnte man durchaus auch als leise Ironie verstehen — als Seitenhieb gegenüber all jenen, die Pina Bausch vorwerfen, dass ihren späteren Stücken das Revolutionäre, Aufrüttelnde und Verstörende ihres Frühwerks fehlt.

„Nefés“ gehört zweifellos zu den fröhlichsten, aber auch leisesten Stücken des Tanztheaters. Es ist das Augenzwinkern, das die Türkei-Hommage, die 2003 in Zusammenarbeit mit dem International Istanbul Theatre Festival entstanden ist, zu einem wahren Freudentanz macht.

Wer darin keinen inhaltlichen roten Faden erkennen will, muss zumindest eingestehen, dass die Präsentationsform eine wahre Augenfreude ist: So unterschiedlich die einzelnen, kurzen Sequenzen auch sind — stets ist es ein verschmitzter Blick, der die Auftritte der 20 Tänzer begleitet. Keck, ausgelassen und mit scheinbarer Leichtigkeit bewegen sie sich im Opernhaus zwischen verspieltem Schaumbad und sprudelnder Sinnlichkeit — wie schwindelfreie Derwische.

„Nefés“ lebt von exzellenten Solo-Tänzen und hat nur wenige, dafür exquisite Ensembleszenen — etwa wenn sich Frauen ihr langes Haar wie ein Schleier vor die Gesichter ziehen. Bilder vom hektischen Treiben auf Basar und Straße stehen im Kontrast zur Weite des Meeres, das auf den Projektionen von Peter Pabst keine bedrohliche Naturgewalt ist, sondern beruhigende Wirkung hat.

Zwar gibt es eine Anspielung auf die patriarchale Gesellschaft, in der Männer auf Stühlen sitzen und Frauen kriechen, um sich wie Hunde am Nacken kraulen zu lassen. Doch im Gegensatz zu anderen Bausch-Choreographien scheinen die ernsten Aspekte des heiteren Geschlechterspiels nur für kurze Momente auf. Der Rest ist eine Aneinanderreihung solistischer Tänze — und die sind allesamt anspruchsvoll, originell, witzig oder erotisch.

Zwischen den vielen berührenden intimen Momenten gibt es auch überraschende, atemberaubend-artistische Einsätze. Die farbenfrohen Kostüme von Marion Cito und die Musik, die Astor Piazzolla und Tom Waits vereint, tun ihr Übriges, um das Lebensgefühl zwischen Orient und Okzident mit der typischen Pina-Bausch-Ästhetik zu verbinden.

So ist „Nefés“ trotz seiner knapp drei Stunden Dauer so erfrischend wie ein Bad in der Ägäis: Die Aufführung zieht vorüber wie ein erquickender Windhauch. Deshalb gibt es am Ende auch Streicheleinheiten für die Seelen der Tänzer: Die Zuschauer bedanken sich für die gemeinsame Türkei-Reise mit Bravo-Rufen und stehenden Ovationen, bevor sie wieder in den Trubel des Alltags, in den Straßenverkehr und das bergische Regenwetter eintauchen.

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