Chorbuch Liederbuch: „Die Geschichten und die Menschen dahinter“

Musikschul-Dozentin Hyat Chaoui legt ein interkulturelles Chorbuch für Frauenstimmen vor.

  Hayat Chaoui (vorne) mit ihrem Chorbuch und den Sängerinnen Janeth Kigabogabo (hinten v.l.), Elena Kouroutsidou, Cordula Stöttner, Karin Bohr, Christine Granzeuer, Carmen Sonia Bender, Meena Heidemann und Roselies Leicht. 

Hayat Chaoui (vorne) mit ihrem Chorbuch und den Sängerinnen Janeth Kigabogabo (hinten v.l.), Elena Kouroutsidou, Cordula Stöttner, Karin Bohr, Christine Granzeuer, Carmen Sonia Bender, Meena Heidemann und Roselies Leicht. 

Foto: Fischer, Andreas H503840

Was ihr der Chor bedeute? „Sehr, sehr viel.“ Das wöchentliche Treffen sei der Moment, auf den sie sich am meisten freue, antwortet Hayat Chaoui und strahlt ihr vereinnahmendes Lächeln. Der Chor sei doch das, „was wir uns für die Welt wünschen, wenn das im Kleinen funktioniert, kann es auch im Großen funktionieren“, ist die Chorleiterin und Dozentin der Bergischen Musikschule überzeugt und macht darauf aufmerksam, dass „Women of Wuppertal“ (WoW) mehr ist als nur ein Chor. Jüngstes Zeugnis dafür: das interkulturelle Chorbuch „WOW Women of our World“.

Am Anfang stand das Arbeitsmarktprojekt M3, mit dem Bergische Musikschule und Jobcenter Wuppertal im Jahr 2015 Mütter mit Migrationshintergrund beruflich fördern und in den Arbeitsmarkt integrieren wollten. Hayat Chaoui übernahm den Chor-Part, hatte ehedem schon mit der Idee eines Frauenchors geliebäugelt, der Frauen mit verschiedenen Herkunftskulturen den gegenseitigen Austausch und das gemeinsame Singen in einem geschützten Raum ermöglichen sollte. Und so erwuchs aus der auf sechs Monate beschränkten und mehrfach verlängerten Vormittags-Maßnahme eine zweite, offene Gruppe unter dem Dach der Musikschule: Sie trifft sich am Nachmittag, Mütter können ihre Kinder mitbringen, die eine kostenfreie musikalische Grundausbildung erhalten. Aus den anfänglich zehn Frauen sind mittlerweile knapp 50 geworden, die aus Europa, Asien, Afrika und Lateinamerika nach Wuppertal gekommen sind. Die Konzerte geben und auch schon für ihr Tun ausgezeichnet wurden.

Es war vor drei Jahren, als Hayat Chaoui auf einem Kongress des Bundesverbands deutscher Gesangspädagogen über ihre interkulturelle Musikpädagogik referierte. Und von Vertretern des renommierten Verlags Breitkopf & Härtel gefragt wurde, ob sie ein Chorbuch erarbeiten könne. Das Buch sei auf sie zugekommen, erinnert die Musikerin den Moment und ihre Freude. Selbstverständlich legte sie los, nicht um ein typisches Chorbuch zu erarbeiten, sondern ein Werk mit interkulturellen Liedern, die „plastisch gemacht werden sollten durch die Geschichten und die Menschen dahinter“. Zu jedem der 40 Lieder gibt es Porträts der Sängerinnen mit bunten Fotos - schließlich stehe der Chor für Diversität, sei die bunte Kleidung bei den Auftritten gesetzt. Jede Frau erzählt ihren Weg zum Singen und was es ihr bedeutet. Vom Ausdruck von Protest über Förderung der Gesundheit von Körper und Seele bis hin zu erlebter Freundschaft und Zusammenhalt.

25 Sprachen aus
mehr als 30 Ländern

Bei der Auswahl der Lieder, die in 25 Sprachen aus mehr als 30 Ländern geschrieben sind, zog Chaoui bewusst die WoW-Frauen zu Rate, suchte ihre Einschätzung, ihre Übersetzungshilfe. Rechtliche Fragen mussten geklärt werden, die aus so manchem Volkslied ein geschütztes Werk machten und kurz vor Andruck noch drei Lieder aus dem Buch kippten. Angeboten werden die Lieder in singbaren Transkriptionen, mit Aussprachehilfe, Übersetzungen und Einführungstexten in Deutsch und Englisch. Das Buch ist in vier Komplexe unterteilt zu „Themen, die uns alle bewegen wie Liebe oder Trauer, die zwar in unterschiedlichen Sprachen ausgedrückt, aber überall auf der Welt gleich empfunden werden“. Es gibt einstimmige Lieder und mehrstimmige, die so arrangiert sind, dass sie auch mit Laien gesungen werden können. Ein offenes Buch für Frauenstimmen, so Chaoui, für Laienchöre: „Ich lade auch traditionelle Chöre zum Probieren ein - da sind Ohrwürmer dabei“, verspricht sie.

Die WoW-Frauen selbst haben im Vertrauen auf Chaoui gelernt, auswendig in einer fremden Sprache zu singen, ohne Notenlesen und Übersetzung. In kleinen, methodisch unterlegten Schritten, „mit den Kompetenzen einer heterogenen Gruppe“ und flexiblen Lehrer-Schüler-Rollen. Ihre Hörgewohnheiten und die Beherrschung der eigenen Stimme hätten sich erweitert, erzählt die Chorleiterin. In der Folge hätten sich die Frauen selbst verändert, seien selbstbewusster geworden. Freundschaften seien entstanden, man helfe einander bei der Wohnungssuche, stehe im Krankheitsfall bei, unternehme gemeinsame Reisen oder komme zu Hochzeiten zusammen.

Die Frauen im Alter von 20  bis 83 Jahre, darunter eine Nigerianerin und eine Indonesierin, die von Anfang an dabei sind, haben auch gemeinsam die Herausforderung der anderthalbjährigen Corona-Zwangspause gestemmt - in der sie über Telefon oder digital in Kontakt blieben oder sich mal in einem Garten trafen. Niemand sei in dieser Zeit abgesprungen, freut sich Chaoui. Vielleicht habe dabei auch die Euphorie geholfen, die der letzte Auftritt vor der Pandemie im Februar 2020 im Vokalmusikzentrum NRW Dortmund ausgelöst habe, „als wir die Bude gerockt haben“. Mit dem Beginn des neuen Schuljahres wurde  endlich wieder gemeinsam geprobt, im September folgte der erste Auftritt nach langer Zeit. Weitere Konzerte werden geplant, schließlich sei man vor der Pandemie im Schnitt jeden zweiten Monat auf der Bühne gestanden, so Chaoui.

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