Marie Nest genießt das Leben mit den Räubern

Die 20-Jährige spielt die derzeit wichtigste Rolle im Opernhaus: Als Waisenkind wickelt sie „Die drei Räuber“ um die Finger.

Wuppertal. „Es hat sich ganz leise angeschlichen“, sagt Schauspielerin Marie Nest. „Es“ ist kein böser Wolf oder eine hinterhältige Hexe — sondern der Wunsch, professionell im Rampenlicht zu stehen.

Dass die Halbfranzösin aus Leidenschaft Theater macht, ist nicht zu übersehen. Die Augen glänzen, wenn sie vom Zauber der Bühne spricht. Und doch ist ein Leben im Scheinwerfer-Radius auch etwas ganz „Normales“ für die 20-Jährige, die im Opernhaus gerade ihr Wuppertal-Debüt gibt. „Ich bin im Theater groß geworden“, sagt die Hauptdarstellerin des Weihnachtsstücks. Zwei- bis dreimal am Tag wird sie zum Waisenkind und hat dabei nur ein Ziel: Sie führt „Die drei Räuber“ auf den richtigen Lebenspfad. Ihr schauspielerisches Talent bekam sie ganz offensichtlich in die Wiege gelegt: Ihr Vater ist Tilo Nest, den das Publikum der Wuppertaler Bühnen als Gast-Schauspieler, Musiker und Regisseur kennt.

So ist es auch kein Zufall, dass sich ihre bisherigen Wohnorte wie eine Liste der angesagtesten Theater-Metropolen lesen: Nest wurde in Bochum geboren, doch schon nach zwei Monaten ging die Reise weiter — nach Zürich, Basel und Berlin. Seit zwei Jahren ist sie in Wien zu Hause.

Wer nicht allzu groß ist, mag dies womöglich als Nachteil empfinden. In diesem Fall ist es jedoch ein klarer Vorteil: Marie Nest ist wie geschaffen für die Rolle der kleinen Tiffany, die mit kindlichem Optimismus gegen eine Waisenhausleiterin kämpft, die es mit ihren Schützlingen nicht allzu gut meint. Dass es nicht allein von der Körpergröße abhängt, ob man sich durchsetzen kann, zeigt Nest nicht nur auf der Bühne. Auch jenseits des Rampenlichts ist eine ungeheure Kraft zu spüren, die sie durchs (Theater-)Leben trägt.

Denn wer glaubt, dass es langweilig ist, drei Wochen lang bis zu dreimal am Tag in dieselbe Rolle zu schlüpfen, irrt sich gewaltig. „Es ist nie gleich“, betont Nest. „Das ist das Schöne am Theater. Und: Im Unterschied zum Film kann man direkt mit dem Publikum kommunizieren.“ In Wuppertal treffen „Die drei Räuber“ auf unterschiedliches Publikum: Neben Familienvorstellungen gibt es auch Aufführungen speziell für Schulklassen.

„Bei den Kindern geht es anarchischer zu“, verrät sie lächelnd. „Letztlich hat ein kleiner Junge gerufen: ,Spuck ihm ins Ohr!’ Ich sollte mich gegen einen Räuber wehren . . .“ Keine Frage: Marie Nest genießt es, wenn sich die Zuschauer auf die herzergreifende Geschichte einlassen, die sie selbst berührt. Welche Szene ihr die liebste ist? „Wenn ich mit den Räubern das ABC tanze. Das macht total Spaß!“ Wobei man nicht weiß, welche Augen mehr glänzen — die der Kinder, die im Opernhaus mitfiebern, oder die der Schauspielerin, wenn sie davon erzählt.

Dass sie vor zwei Wochen — bei der Premiere — auf familiäre Unterstützung zählen konnte, hat sie gefreut. „Meine Eltern haben mich nicht gedrängt, aber sie stehen voll hinter mir. Sie verstehen, was und wie man als Schauspieler lebt. Das gibt Kraft.“ Ihren Weg will sie deshalb konsequent weitergehen: Die 20-Jährige möchte sich an Schauspielschulen bewerben.

Ein Orientierungsjahr am renommierten Burgtheater in Wien hat sie bereits absolviert — und dabei „Blut geleckt“. Weshalb sie überhaupt Theater macht? „Man ist glücklich, wenn man es schafft, anderen Menschen etwas mitzugeben.“ Womit kein handfestes Präsent, sondern der „unfassbare“ Zauber der Bühne gemeint sein dürfte.

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