Kunst: Wolrad macht in Wolle

Wolrad Specht fertigt in seinem Atelier an der Wiesenstraße Teppiche, die bis zu 100.000 Euro wert sind.

Nordstadt. Schon die Werkstatt ist ein Schmuckstück: Das 1886 erbaute Kutscherhaus der Kordel- und Litzenfabrik an der Wiesenstraße hat den Fabrik-Abbruch 1979 überlebt und ist ein architektonischer Hingucker aus rotem Backstein. Aber wo im Innenraum einmal die Kutsch-Pferde standen, reichen nun massige Balkengestelle bis zur Decke. Hier hat der Teppich-Künstler Wolrad Specht sein Atelier — treffender Bezug zum Textil-Industrie-Standort.

Gerade ist ein kleines Gewebe aufgespannt, das „nur“ zur Demonstration seiner Arbeitsweise dient. Denn sein letztes Werk, der 3 mal 4 Meter große Teppich für den amerikanischen Pop-Art-Künstler Jeff Koons, der bekannt ist für seine ironischen Gratwanderungen zwischen Kitsch und Kunst, hat gerade für die stolze Summe von 100 000 Euro den Besitzer gewechselt. Das hört sich viel an, aber Specht hat daran fünf Jahre gearbeitet. Er gesteht: „Mein Schicksal ist, dass ich geschäftlich nicht zu Rande komme.“

Ironie des Schicksals: Er fertigte diesen Teppich nach dem Entwurf von Albert Oehlen schon einmal an. Specht: „Damals wusste ich gar nicht, dass er für Koons war. Ich habe zufällig sein Hochzeitsfoto 1992 in der Cosmopolitan gesehen — auf ,meinem’ Teppich aufgenommen.“ Dennoch sind beide textilen Kunstwerke unterschiedlich ausgefallen: „Damals arbeitete ich nach einem Foto, jetzt nach der Original-Collage. Ich habe versucht, sogar die Rasterpunkte der Foto-Ausschnitte abzubilden. Deshalb habe ich in vielen Partien die Fäden einzeln mit der Schere eingezogen und von der Rückseite nachgezogen.“

Ansonsten arbeitet Wolrad Specht im Hand-Tufting-Verfahren. Die Tufting-Maschine funktioniert nach dem Prinzip der Nähmaschine. Die Fäden werden also reihenweise, ohne Knoten, mit Hilfe von Druckluft in das Gewebe „eingeschossen“. Vom Entwurf, den viele renommierte Gegenwarts-Künstler wie etwa Albert Oehlen, Thomas Bayerle oder Stefan Szcesny für ihn liefern, bis zum fertigen Teppich braucht es unzählige Arbeitsschritte: Vom Übertragen des Entwurfs auf Transparentpapier und auf das Gewebe über das Aufspannen des Erstrückens, das Ausfüllen der Flächen in kleinen Abschnitten, das Bestreichen mit Latex von der Rückseite bis hin zum Scheren der Oberfläche und Beschneiden der Kanten. Dazu kommen mühevolle Vorbereitungen der Wolle, die ein Färber in exakten Tönen einfärbt.

Wolrad Specht hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt: Nach der Lehre als Wollstoffmacher in Dahlerau studierte der heute 63-Jährige bei Rudolf Schoofs und Gerwald Kafka an der Wuppertaler Werkkunstschule Textildesign mit Diplom-Abschluss und ist als freier Künstler tätig. Er ist verheiratet und für seine drei Kinder Louisa, Jannick und Fiona da. Ehefrau Petra arbeitet an der Bergischen Universität. In seinem Stadtteil ist Wolrad Specht, der schlanke Mann mit dem gewinnenden Lächeln und starken Händen, für viele Kinder der „Hausmeister“ des schönen Backstein-Gebäudes, der mal eben mit seiner Druckluft einen Fahrradreifen aufpumpt.

Wie es weitergeht mit der Teppichkunst? „Ich habe schon eine Anfrage von Andreas Schulz, Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, für ein neues Projekt. Aber da müssen wir uns noch über den Preis einigen“, sagt Specht und schmunzelt.

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