Von der Heydt-Museum Kunst: Analoge Wellenbrecher im digitalen Datenstrom

Roland Mönig ist gut hundert Tage Chef des Von der Heydt-Museums. Die aktuelle Sammlungspräsentation „An die Schönheit“ ist ein Antrittsgeschenk, das er mitgestaltet hat.

Roland Mönig betont die Hängung der Werke, die Sichtachsen und Bilder-Dialoge ermöglicht.

Roland Mönig betont die Hängung der Werke, die Sichtachsen und Bilder-Dialoge ermöglicht.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Gute 100 Tage ist Roland Mönig nun in Wuppertal, hat im Lockdown der Coronakrise seinen Job als Direktor des Von der Heydt-Museums angetreten. „Ich habe die Museen in Saarbrücken geschlossen (dort hatte er zuletzt das Saarlandmuseum und das Museum für Vor- und Frühgeschichte geleitet, Red.) und habe in Wuppertal alles geschlossen vorgefunden.“ Ein schwieriger Start, bei dem ihm „das tolle Team und die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten“ geholfen haben. Bis im Mai mit der Wiedereröffnung der „Befreiungsschlag“ gelang. Mittlerweile wird das Haus mit drei Ausstellungen bespielt und ist wieder „ganz da“. Der Juni lief sogar recht gut: Mit knapp über 1100 Besuchern war er fast so stark wie der Vorjahresmonat mit 1260. „Das Gesamtpaket zieht, auch die Führungen, die es seit kurzem gibt, laufen gut.“

„An die Schönheit“ heißt ein eher unschönes Bild von Otto Dix, das dieser 1922 malte. Ein Selbstporträt als rasender Reporter im Zentrum einer abendlichen Tanzclubszene. Eine eher bedrohliche Szene, die allerlei skurrile Gestalten – darunter ein US-amerikanischer Schlagzeuger, Tanzende und eine Dekorationsbüste – um Dix versammelt. Nach dem Tod von George Floyd und den Antirassismus-Protesten weltweit erhält das Bild gerade eine sehr aktuelle Bedeutung. Im Von der Heydt-Museum gibt es einer Ausstellung den Namen, die ihre allerschönsten Schönheiten zeigt. Und für Mönig ist es eines der schönsten Werke der Schau, zusammen mit denen von Max Beckmann, die es in seinem „Lieblingsraum“ flankieren.

Bilder und Skulpturen sind
im regen Austausch

Das Museum am Turmhof besitzt etwa 3000 Gemälde und 400 Skulpturen. Ein ungeheurer Schatz, von dem nun 150 Gemälde und zehn Skulpturen in den elf Räumen im Obergeschoss präsentiert werden. „Wir haben alles, wir müssen es nur zeigen“, lobt Mönig die vielseitige Sammlung, aus der nun bewusst viele, lange nicht mehr gezeigte Werke ausgesucht wurden. Was schon zu so manch freudigem Eintrag im Gästebuch geführt habe. Der romantische Landschaftsmaler Johann Erdmann Hummel gehört dazu und George Segal, der für seine Gips-Plastiken bekannt wurde, Hans Hofmann, der in die USA emigrierte und dort den Abstrakten Expressionismus beeinflusste, und Leon Polk Smith, der die Hard-Edge-Malerei mitbegründete.

Außerdem haben Mönig und seine Stellvertreterin Antje Birthälmer die Werke so gehängt, dass sich immer wieder neue Sichtachsen und Anknüpfungspunkte ergeben. Bei den französischen Künstlern des 19. Jahrhunderts, die den Auftakt zum Rundgang machen, schauen sich etwa die Gegenspieler Thomas Couture und Eugène Delacroix über den Raum hinweg an, korrespondiert Henri Toulouse-Lautrecs „La grosse Marie“ mit Ferdinand Hodlers „verklärter Frau“ am anderen Ende des Stockwerks. Paul Klees Kreise tauschen sich mit einem Bild und einer Kugel-Skulptur Lucio Fontanas aus, die der italienische Avantgardekünstler mit seinen typischen Schnitten versehen hat. Es sei „hervorragend, wie die Werke miteinander reden“, schwärmt Mönig und verweist auf Lovis Corinths Stillleben mit schwarzer Skulptur, das diagonal zur schwarzen Frauen-Skulptur von Aristide Maillol im Nachbarraum aufgehängt wurde. Weibliche Akte als Plastiken ist ein weiteres Leitmotiv der Schau. Im Raum der „Riesenegos“ Dix und Beckmann aber sind sie männlich. Bewusst wurden zwei kleine Boxer von Renée Sintenis, der Mutter des Berliner Bären, auf einen verglasten Sockel gestellt.

Auf Filme oder Touchscreens wird bewusst verzichtet. Museen, die intensiv mit Monitoren arbeiten, seien beliebig, die Besucher nähmen nicht wirklich was mit, meint Mönig. Für ihn ist das Museum ein stabiler Ort, klar definiert durch Werke, Architektur und Menschen. Ein Ort, den man physisch und immer wieder anders erlebt, indem die Sammlung neu befragt und gezeigt wird. Diese analoge Erfahrung will er digital einbetten. Durch Vorinformationen über die Sozialen Medien, durch vertiefende Informationen im Netz, das wie ein digitaler Museumskatalog funktionieren soll. „Digitorials sind gut zur Vor- und Nachbereitung, wenn die Menschen im Museum sind, will ich ihre analoge Aufmerksamkeit halten mit Kunst, die Wellenbrecher im digitalen Datenstrom ist“, sagt er.

Heißt konkret: Das Museum startet seinen „Langstreckenlauf“ gen Digitalisierung“ mit einem Feldversuch. An 20 Bildern in der Ausstellung gibt es QR-Codes, über die im Smartphone Informationen les- und hörbar abgerufen werden können. Private Fotos mit dem Smartphone wurden extra erlaubt. Die Website des Museums wird überarbeitet. Das Reale werde wichtiger, je digitaler die Welt werde, das lokale Kunsterlebnis vor Ort wichtiger, je globaler die Welt werde, lautet das Credo des Museumschefs.

Die Coronakrise und mit ihr die Reisebeschränkungen unterstützen die Rückbesinnung auf das, was Museen seien, so Mönig: Orte der Ruhe, Großzügigkeit und Gelassenheit, nicht des hektischen, bunten Massenkonsums, die nicht dann am besten funktionieren, wenn sie voll sind, sondern wenn sie auf Abstand beruhen. Ihm persönlich hat die Coronakrise erlaubt, das Ausstellungsgeschenk, das Birthälmer konzeptioniert hat, mit zu gestalten. Derweil das Programm für die nächsten Ausstellungen gerade festgezurrt und sicher neue Seiten der Sammlung zeigen wird.

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