Theater In der Trennung sind wir alle vereint

Das Migrations-Stück „atlas“ von Thomas Köck feiert am 1. Februar im Theater am Engelsgarten Premiere.

 Das Inszenierungsteam: (v.l.) Jenke Nordalm (Regie) und Vesna Hiltmann (Bühne und Kostüm).

Das Inszenierungsteam: (v.l.) Jenke Nordalm (Regie) und Vesna Hiltmann (Bühne und Kostüm).

Foto: Fries, Stefan (fri)

 Dieses Stück stellt viele Fragen. „Wer geht und wer kommt? Wer darf ankommen? Wie viel ist ein Leben wert? Wessen Geschichte wird gehört? Wer sind wir und wer sind die anderen?“, kündigt das Wuppertaler Schauspiel das Stück „atlas“ im Spielplan an. Autor Thomas Köck behandelt darin am Beispiel einer fiktiven vietnamesischen Familie das Thema Migration im real-historischen Kontext von Nord- und Süd-Vietnam und Ost- und West-Deutschland. Am 1. Februar wird im Theater am Engelsgarten Premiere gefeiert.

„atlas“ ist eine preisgekrönte Auftragsarbeit, die vor einem Jahr in Leipzig uraufgeführt wurde, den Mülheimer Dramatiker- und Publikumspreis erhielt. Geschrieben von dem 34 Jahre jungen, österreichischen Dramatiker Thomas Köck, der für seine virtuose wie spezielle Sprachführung gerühmt wird. Das Stück habe ihn sofort begeistert, sagt Schauspielintendant Thomas Braus, seine Verknüpfung der deutschen mit der vietnamesischen und der heutigen Migrationsthematik überzeuge, ohne mit der Tür ins Haus zu fallen. Auch Hausdramaturgin Barbara Noth schwärmt vom Text, der wie ein allgemeiner Chorgesang geschrieben und keinen Personen zugeordnet sei. Eine Herausforderung, für die erstmal eine theatralische Form gefunden werden müsse. Ein Text, der zugleich schnell zu den Kernpunkten führe, ergänzt Regisseurin Jenke Nordalm.

Der Inhalt ist entsprechend kompakt, spielt auf drei zeitlichen Ebenen. Da sind zunächst die 1970er Jahre: Nach dem Ende des Vietnamkrieges drohte den unterlegenen Südvietnamesen Verfolgung und Umerziehung. Viele flüchteten, einige wurden medienwirksam ausgeflogen, andere versuchten über das Meer zu entkommen. Köcks Geschichte setzt mit diesen „Boatpeople“ an: Mutter und Tochter fliehen, ihr Boot sinkt, sie verlieren einander aus den Augen, so dass die Mutter nicht mitkriegt, dass ihre Tochter gerettet wird. Diese Tochter kommt später als Vertragsarbeiterin in die DDR, wird ungewollt schwanger, taucht mit ihrer Familie in den Endjahren des Staates unter.

Die eigene Geschichte
wird wieder lebendig

Doch das nach Mauerfall und Wende 1989/1990 entstehende neue deutsche Wir schließt sie aus. Sie sehen sich mit Rassismus und Anschlägen konfrontiert. Die dritte zeitliche Ebene spielt heute. Die Tochter ist erwachsen, landet mit dem Flugzeug in Saigon. Von ihrer Großmutter hat sie nur ein Foto, ihre Mutter wuchs bei Pflegeeltern auf. Die beiden finden einander, ohne sich erkennen zu geben.

Jenke Nordalm ist eine Spezialistin für die Inszenierung zeitgenössischer Stücke. Sie teilt den Text auf drei Frauen und einen Mann auf, ihre „Figuren schälen sich aus dem chorischen Sprechen heraus, wirken dadurch emotionaler, obwohl sie stellvertretend agieren“, erklärt sie. Bei der Umsetzung hat sie viel mit Archivmaterial gearbeitet und bewusst die vietnamesischen Communitys in Wuppertal und Düsseldorf einbezogen, um so einem Vorwurf vorzubeugen, der der Leipziger Inszenierung gemacht wurde. Die ehemaligen Boatpeople und ihre Nachkommen begleiten die Proben, im Stück selbst werden vietnamesische Sprachaufnahmen eingespielt. Für Nordalm ist „atlas“ ein Stück gegen das Vergessen, hart und zugleich versöhnend, und ein Stück, das sie, die sie Teil eines Ost-West-Paares ist, auch persönlich berührt und eine vergangene Zeit lebendig werden lässt. „Ich lebte 1989 in Berlin und habe die Auftragsarbeiter in den Plattenbauten miterlebt. Die Rechtlosigkeit, die Überforderung der Ämter.“ Sie betont, dass Identität und Gemeinsamkeit gefördert werden müssen, man nicht hinnehmen dürfe, dass in Deutschland aufgewachsene Menschen nicht dazugehören.

Ihr zur Seite steht Vesna Hiltmann, die eine lange Beziehung mit Asien verbindet, viele Fotos beisteuert. Sie verzichtet bei den Kostümen auf Trachten, baut lieber Dinge von ihren Reisen als Versatzstücke ein – eine Jacke mit Hand- und Mundschutz, Seidenstoffe, ein Original-Hemd aus DDR-Fabrikation. Ihre reduziert gestaltete Bühne ist ein offener Raum zwischen Innen und Außen, eine Schräge auf einer Scheibe, gut geeignet für die vielen Orts- und Zeitwechsel.

Köck selbst habe gesagt, er verdichte reale Recherche zur Wahrheit, sagen die beiden Frauen, eine Aussage, die sie teilen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort