Aufführung Goethes Faust, die Nazis und Elses hochaktuelles Stück

Das Schauspiel inszeniert mit einem internationalen Team Else Lasker-Schülers Tragödie „IchundIch“ in den Riedelhallen.

 Vorfreude auf „IchundIch“: (v.l.) Kirsten Dephoff, Thomas Braus, Dedi Baron und Barbara Noth.

Vorfreude auf „IchundIch“: (v.l.) Kirsten Dephoff, Thomas Braus, Dedi Baron und Barbara Noth.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Sie haben 90 Tonnen Sand in die Fabrik gefahren, ihn in der Hallen-Mitte zu einer 16 Meter großen kreisrunden Fläche geformt. Ihre Bühne, die an Wüste, an Anfang und vieles mehr erinnert. Das Schauspiel Wuppertal führt im Juli „IchundIch“ in den Riedelhallen auf. Mit deutschen und israelischen Kooperationspartnern, Sponsoren und Förderern - und mit einem ganz eigenen Ansatz, der Else Lasker-Schülers Stück aus dem Jahr 1941 als Ausgangspunkt für existentielle wie hochaktuelle Fragen nimmt. Und die einen ganz anderen als den üblichen Blick auf die Dichterin werfen, deren 150. Geburtstag in diesem Jahr überall in Wuppertal gefeiert wird.

„Ich wollte, dass der Beitrag des Schauspiels zum Jubiläumsjahr nicht ‚Die Wupper’, sondern ein selten gespieltes Stück von Lasker-Schüler ist. Und ‚IchundIch’ hat mich schon lange beschäftigt“, erklärt Intendant Thomas Braus die Auswahl. Sie traf ein Stück, das nicht nur mit Schauspielern, sondern interdisziplinär mit Tänzern und Musikern und international mit Akteuren aus mehreren Ländern, mit viel Freude am Experiment und Wagnis und starkem Körpereinsatz umgesetzt wird. Kein Guckkastentheater, keine Beweihräucherung, sondern Theater-Festival sein soll. Braus gewann die israelische Regisseurin Dedi Baron für sein Vorhaben, auf Wuppertaler Seite steht ihr Dramaturgin Barbara Noth zur Seite. „Wir wollen ein Theaterevent, zu dem man Lust hat hinzukommen, mit jungen Leuten aus Tel Aviv und Berlin. Eine andere Form von Theater“, sagt Braus und Baron ergänzt: „Else war eine Frau, die das Leben auch gefeiert hat. Sie hat ein Stück geschrieben, in dem alles passieren kann.“

90 Tonnen Sand und
250 Paar Militärstiefel

Darin stellt Lasker-Schüler die Frage nach dem Bösen in der Welt, überschreibt dafür Goethes Faust. Die deutsch-jüdische Künstlerin war auf der Flucht vor den Nazis in Jerusalem gestrandet. In „IchundIch“, das ihre Spaltung als Künstlerin ebenso ausdrückt wie die Spaltung der Welt, verknüpft sie den Naziterror mit den positiven Aspekten der deutschen Kultur, entwirft dabei sogar die Vision von einer guten Welt. Ein „kryptisches, verschlossenes Stück“, das gerade in seiner Überforderung Befreiung erlaube, erklärt Barbara Noth. „Es geht nicht um Werktreue, einen vorgezeichneten Weg, es geht um spannendes Suchen, das auch die Proben kennzeichnet. „Diese Anarchie und Unkonventionalität entspricht wiederum auch Lasker-Schüler“, meint Braus.

Seit zwei Wochen proben sie nun zusammen, nutzen die Freiheiten des Stücks, stellen existentielle Fragen: Hätte Goethe Faust so geschrieben, wenn er die Nazis erlebt hätte? Wie können Menschen mit unseren guten und schlechten Seiten umgehen? Wie muss eine gute deutsch-israelische Beziehung aussehen? Wie steht es um die politischen Beziehungen in der von alten weißen Männern dominierten Welt? Fragen, denen sich in einem begleitenden Autorenprojekt auch Regie-Studierende unter Leitung von Dedi Baron an der Universität Tel Aviv und Studierende unter Leitung von John von Düffel an der Universität der Künste Berlin stellten. Aus ihrer Arbeit über „IchundIch“ formten sie ein „WirundWir“, das im Rahmen einer Ausstellung zeitgleich im Juli in einer weiteren Riedelhalle präsentiert wird. Hier inszenieren die Israelis die Texte, die ihre deutschen Kommolitonen geschrieben haben.

Derweil arbeitet das Aufführungsteam, darunter auch das ehemalige Mitglied des Tanztheaters Pina Bausch, Kenji Takagi, eine Struktur, die „viel Luft für die Akteure lassen soll“, so Dedi: „Im Grunde geht es um die Beschäftigung mit der eigenen Identität. Die Künstler müssen dafür ihr Ich öffnen.“ Einigermaßen offen, wenn auch mit deutlichen Hinweisen versehen, präsentiert sich der quadratische Theaterraum, eine Arena mit Lichttraversen, die aus einer runden Bühne und 250 Militärstiefelpaaren sowie einigen Fernsehern besteht, die darum herum aufgebaut werden. Die Zuschauer können das Geschehen auf 300 Sitzplätzen verfolgen, die an allen vier Seiten aufgereiht werden. Das Ensemble agiert hauptsächlich in der Mitte, aber auch parallel drumherum, während auf den Monitoren Dokumente oder Fernsehsendungen eingespielt werden, die aktuelle Bezüge herstellen. Auf Nazisymbole wird bewusst verzichtet, „wir haben nur die Stiefel und den Bart“, erklärt Kirsten Dephoff, die Kostüme und Bühne verantwortet.

Dedi: „Die Anfänge des Staates Israel lagen im Sand: Aber es gab die Hoffnung, etwas Gutes daraus zu schaffen.“

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