Wuppertal Fulminante Inszenierung der Rockoper

Wuppertal · Jubelrufe und Standing Ovations bei der Premiere von „Jesus Christ Superstar“.

 Das Volk jubelt dem Star erst zu, dann macht es ihn nieder.

Das Volk jubelt dem Star erst zu, dann macht es ihn nieder.

Foto: Bettina Stoess

Schlager-, Rock- und Popstars müssen höllisch aufpassen, sich nicht verheizen zu lassen. Denn es kann ruckzuck geschehen, dass auf einen Hype um sie ein gnadenloser Absturz folgt. Auf dem Klassiksektor sieht es nicht anders aus. Knallhart und brutal können das Geschäft und die wandelbare Publikumsgunst sein. Davon kann man sich im Wuppertaler Opernhaus ein Bild machen. Denn dort ist die populäre Rockoper „Jesus Christ Superstar“ zu erleben, mit der das Regieteam um Erik Petersen solche Vorfälle schonungslos offenlegt.

Jesus ist der Rockstar schlechthin. Riesengroß ist seine Fangemeinde, die ihn anhimmelt. In der Öffentlichkeit benimmt er sich dementsprechend. Fühlt er sich aber unbeobachtet, kommen seine innere Zerrissenheit, seine Zweifel an der Umwelt, das Wissen um sein drohendes Aus zum Vorschein. Ein ganz kleines Wesen ist er dann. Oedo Kuipers verkörpert diese Charaktere außerordentlich plausibel und verleiht ihnen auch gesanglich eine exzellente Aussagekraft.

Satte, unter die Haut gehende Musik mit viel Drive und Groove

Genauso beeindruckt Rupert Markthaler als Bandmitglied Judas Ischariot, dem die Zuneigung des Sohn Gottes zur Hure Maria Magdalena (ergreifend gesungen und dargestellt von Maureen Mac Gillavry) überhaupt nicht gefällt. Seine Bühnenpräsenz und bewegliche Stimme lassen keine Wünsche offen.

Die vielschichtige Tragik, das Revoltieren, die zu späte Erkenntnis um sein Fehlverhalten bringt er außerordentlich dramatisch zum Ausdruck. Schließlich, nach seinem Selbstmord durch eine Pistole und vor den letzten Worten von Jesus am Kreuz, entsteht um ihn als Frontmann der Rock-Band ein Starkult. So schnell kann es gehen.

Den Pharisäern möchte man nicht im Dunkeln über den Weg laufen. Sie benehmen sich wie eine machthungrige Gang. Kaiphas ist der Boss. Seine ganze gemeine Verschlagenheit bringt Rainer Zaun mit seinem soliden Bass mustergültig zum Ausdruck. Gerade auf diese Typen fällt Judas herein und verrät Jesus an sie.

Im Jerusalemer Tempel, in dem seinerzeit Händler und Geldwechsler ihr Unwesen trieben, tummeln sich heute lasziv Damen in Strapsen, Mieder und Korsett, die der Protagonist wütend verscheucht. Während der letzten rund 2000 Jahre hat sich also nichts geändert an mangelndem Respekt gegenüber sakralen Bräuchen. Ebenso wird dem Alkohol getreu dem Rock-Klischee ordentlich zugesprochen. Sogar beim letzten Abendmahl wird ausgiebig gezecht. Realistischer geht es nicht.

Andauernd ist auf der Bühne etwas los. Ständig wuseln Opernchor und Jugendchor der Wuppertaler Bühnen (bestens einstudiert von Markus Baisch) auf der halbrunden Bühne hin und her. Diese ist ähnlich einer Manege aufgebaut mit seinen beiden beweglichen Stegen rechts und links. Die Chormitglieder sind es, die Jesus zuerst verherrlichen, dann in den Dreck ziehen.

Herodes alias Mark Bowman-Hester liefert eine Show vom Feinsten ab. Selbst die ruhigen Szenen wie die im Garten Gethsemane sind keine Ruhepole. Wegen der intensiven Gesänge gibt es auch hier keine Brüche an der nie nachlassenden hohen Spannung.

Sonor ist der Sound, der aus dem Orchestergraben (Sinfonieorchester Wuppertal) und von oberhalb der Bühne (fünfköpfige Rockband) kommt. Diesen Luxus gönnt sich das Wuppertaler Haus im Gegensatz zum Staatstheater Oldenburg, dessen Inszenierung mit leichten Veränderungen übernommen wurde. Dieser große Klangkörper sorgt unter der versierten und präzisen Leitung von Jürgen Grimm für satte, unter die Haut gehende Musik mit viel Drive und Groove. Brillante Bläser- und Streichersätze gehen Hand in Hand mit knackig-kernigem Rock-Pop.

Berechtigter Szenenapplaus zwischendurch ist das Eine, nicht enden wollende, ebenfalls verdiente Standing Ovations inklusive Jubelrufe und Bravi vom Premierenpublikum gegenüber allen an der fulminanten Produktion Beteiligten das Andere. Die altehrwürdige Heimat des seriösen Musikdramas ist zu einem einladenden Haus für unterhaltsame Kurzweil mit allem dazugehörenden Ernst mutiert.

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