Freiheit jenseits seichter Unterhaltung

Christian von Treskow zieht Bilanz: Der 44-Jährige geht in seine letzte Spielzeit als Schauspiel-Intendant in Wuppertal.

Herr von Treskow, im September beginnt Ihre letzte Spielzeit als Schauspiel-Intendant an den Wuppertaler Bühnen. Was überwiegt: Wehmut, Enttäuschung oder die klare Absicht, nach dem Motto „jetzt erst recht“ noch einmal deutliche dramatische Spuren zu hinterlassen?

Christian von Treskow: Ganz klar überwiegt der Wunsch, unsere Arbeit noch einmal zu einem künstlerischen Höhepunkt zu führen. Schließlich möchten wir in guter Erinnerung bleiben. Wir haben in so kurzer Zeit so viele Unterstützer und auch Freunde gefunden — die wollen wir keinesfalls enttäuschen. Und es muss auch einmal deutlich gesagt werden, dass wir in den vergangenen vier Jahren von der Stadt die einmalige Chance bekommen haben, einen zeitgemäßen, künstlerisch anspruchsvollen Spielplan zu gestalten, der sich im Vergleich mit den großen Bühnen der Republik nicht verstecken muss. Und trotz aller Streitigkeiten um Finanzen, Spartenerhalt und Spielstätten hat sich aus Politik und Verwaltung nie jemand inhaltlich in unsere Arbeit eingemischt. Das ist schon ein Stück künstlerische Freiheit, die wir hier hatten — und auch noch haben.

Wie geht es weiter?

Von Treskow: Wir wollen auf dem eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen und in der nächsten Spielzeit ein interessantes, aufregendes Programm bieten — jenseits von seichter Unterhaltung und bravem, angepassten Klassikerdienst. Wenn man die vom Rat beschlossenen Rahmenbedingungen des zukünftigen Schauspiels liest, ist dies eine doppelte Verpflichtung unserem Publikum und der aufklärerischen Tradition der Wuppertaler Bühnen gegenüber. Wer weiß, wie lange das alles hier noch möglich ist. Viele erfahrene Intendanten-Kollegen haben mir zuletzt sinngemäß gesagt: „Sei doch froh, dass Du für diesen beispiellosen Kulturabbau in Wuppertal keine Verantwortung mehr übernehmen musst!” Man kann das so sehen. Aber ich denke nicht so.

Sondern?

Von Treskow: Ich weiß, dass im Parkett und auf den Rängen Abend für Abend mehr und mehr Menschen sitzen, die unsere Arbeit sehr wohl zu schätzen wissen. Die vergangene Spielzeit hat das deutlich gezeigt. Sich jetzt auf den Standpunkt eines zynischen Beobachters zurückzuziehen, hieße, diese neu gewonnenen Zuschauerinnen und Zuschauer im Stich zu lassen. Das kann nicht unser Ziel sein. Vielmehr möchte ich meiner Nachfolgerin ein Haus mit einem neugierigen und kenntnisreichen Publikum übergeben. Ins Theater-Biedermeier führt kein Weg zurück.

Im Oktober setzen Sie „Maria Stuart“ in Szene. Was reizt Sie an diesem Stoff?

Von Treskow: Ich inszeniere zum ersten Mal einen Text von Friedrich Schiller — und gleich eines der großen Versdramen. Das ist schon eine echte Herausforderung — gedanklich und auch rein sprechtechnisch. Was im Moment sehr hilfreich ist, ist der Fakt, dass viele sich angesichts der aktuellen Debatte um ihre individuelle Freiheit Gedanken machen. Dieses Thema hat im Augenblick nach langer Zeit wieder Konjunktur. Schiller stellt in „Maria Stuart“ seinen eigenen Begriff der Freiheit massiv in Frage: Dürfen im Namen dieses Ideals die Grundrechte des Menschen erheblich eingeschränkt werden? Dürfen der Staaträson im Namen der Sicherheit Menschenleben geopfert werden? Ist unsere individuelle Freiheit nicht eine erbärmliche Fiktion angesichts der totalen Kontrolle, der wir uns durch die elektronischen Medien mehr oder weniger freiwillig ausliefern?

Was genau hat das Publikum zu erwarten?

Von Treskow: Ich möchte nicht zuviel verraten. Vielleicht vorab nur dies: Die elektronischen Medien spielen eine wichtige Rolle, und das Ensemble wird in bewährter Manier und bekannter Qualität diesen großen Text, der das deutsche Drama formal und inhaltlich auf eine Ebene mit Shakespeare hebt, intensiv erlebbar machen. Sowohl der Klassiker-Fan als auch der Verehrer des Regietheaters werden hier auf ihre Kosten kommen.

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