Else Lasker-Schüler — die Elberfelderin

2019 wäre Wuppertals berühmte Tochter 150 Jahre alt geworden. Die WZ widmet ihr eine Serie.

Else Lasker-Schüler — die Elberfelderin
Foto: Else Lasker-Schüler-Gesellschaft

„Früher habe ich es manchmal nicht geglaubt, jetzt aber weiß ich es; ich bin die Else Lasker-Schüler — leider. Auf meinem Geburtsschein steht noch immer Gold-Else; aber ich bin nicht zu versetzen.“ „Elsken“ war von sechs Kindern das Nesthäkchen. Mutter Jeannette veranstaltet im gutbürgerlichen Haus Sadowastraße 7 Lesungen. Hier beginnt das Mädchen zu reimen und ihr Zeichentalent zu üben: „Mit fünf Jahren dichtete ich mein erstes Buch; es erschien in einer Auflage von 30 000 Stück bei Ullstein. Seitdem leiste ich nichts mehr. Ich soll furchtbar frech sein. Wenn ich nur wüßte, ob ich einen guten Charakter habe!“ Die frühe Kindheit - Zeit der Geborgenheit. Haus, Garten und Kaiserhöhe sind Traumwelten: „Unsere Zimmer haben blaue Wände.“

150 Jahre

Else Lasker-Schüler

Als sie 13 ist, stirbt 1892 Lieblingsbruder Paul. 1890 folgt Jeannette Schüler. Ihr, dem „Engel, der neben mir ging“, widmet ELS innige Mutter-Gedichte. Ihre Gräber befinden sich auf dem Jüdischen Friedhof an der Weißenburgstraße. Auch vom Vater: „Eck sie jo sing Doochter.“ Als Erwachsene setzt sie ihrer Geburtsstadt mit dem Schauspiel „Die Wupper“ ein Denkmal. Sie schreibt über die Nordstadt als „Marienstadt“ und macht Elberfeld zur „Inka-Stadt am Strand der Nordsee … eine seltsame Stadt, schwarz vor Romantik und Geschehnissen und Umhertreibern aller Art.“ So wie jene Gestalten, die am 27. Juli 1910 durch Elberfeld ziehen: Else Lasker-Schüler mit Kurzhaarschnitt, ein hagerer Mann mit Stirnglatze und langem Mantel wie im Wildwestfilm (Herwarth Walden) und ein Künstlertyp mit gelben Schuhen (Oskar Kokoschka): Sie stopfen den „Sturm“ in Briefkästen, um Werbung für die Zeitschrift zu machen.

Ihre damaligen Beobachtungen hält ELS in ihrem berühmten Heimatbekenntnis fest. „Elberfeld im 300-jährigen Jubiläumsschmuck. Lott es doot, Lott es doot, Liesken leegt om Sterwen, dat es god, dat es god, gäwt et wat tu erwen. Ich bin verliebt in meine buntgeschmückte Jubiläumsstadt; das rosenblühende Willkomm gilt mir, denn ich bin ihr Kind, die flatternden Fahnen auf den Dächern, aus den Fenstern winken mir zu, lange Rotschwarzweißarme, die mich umfangen wollen. Ich bin in Elberfeld an der Wupper in der Stadt der Schieferdächer. Hohe Ziegelschornsteine steigen, rote Schlangen herrisch zur Höhe, ihr Hauch vergiftet die Luft. Den Atem mußten wir einhalten, kamen wir an den chemischen Fabriken vorbei, allerlei scharfe Arzeneien und Farbstoffe färben die Wasser, eine Sauce für den Teufel…“ Zitate aus dem Essay sind längst geflügelte Worte: „Ich bin verliebt in meine zahnbröckelnde Stadt, wo brüchige Treppen so hoch aufsteigen…“ Und „der schwärzeste Fluss der Welt, an dem man erkennt, welche Menschen leuchten“, wird ebenso realistisch wie romantisch verklärt in ihrem ersten Theaterstück „Die Wupper“, gewidmet ihrer Geburtsstadt.

Die „Arbeiterballade“ schildert Sexualität, Klassenunterschiede und Umweltbelastungen durch Bayer. Dem „Wuppermenschen“ zeigen sich „aufsteigende Rußwolken wie finstere Botschaften“. Sie ist „stolz auf meine Schwebebahn, ein Eisengewinde, ein stahlharter Drachen, wendet und legt sich mit vielen Bahnhofköpfen und sprühenden Augen über den schwarzgefärbten Fluss.“ Es ist beste PR für ihre „Wupperheimat“: „Immer fliegt mit Tausendgetöse das Bahnschiff durch die Lüfte über das Wasser auf schweren Ringfüßen durch Elberfeld weiter über Barmen…“ Ähnlich poetisch erinnert sie an den Laurentiustag: „…dann hatten wir anderen Kinder auch frei, ‚die lutherischen und die semitischen Kinder’, wie uns das Fräulein zu unterscheiden pflegte. Heute konnten wir wieder zugucken, wie sich die katholischen Mitschülerinnen versammelten auf dem Platz um die zweitürmige Kirche hinter den rauschenden Kastanienbäumen. Einer blühte fromm … und die Lutherischen schienen zu Laurentius die Katholischen ganz gern zu haben; genau wie uns Juden am Passahfest wegen der Matzen. Alle Einwohner schienen auf den Beinen zu sein, nur der Karl Krall kam auf seinem ‚klugen Hans’ auf dem Rücken seines Pferdes, das rechnen konnte.“

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