Dunkle Stoffe hoch drapiert: „Farbe lenkt nur ab“

Alice Musiol stellt bis zum 9. November in der Galerie Grölle pass.project „Kissing the Dust“ aus.

Dunkle Stoffe hoch drapiert: „Farbe lenkt nur ab“
Foto: Andreas Fischer

Wuppertal. Nachtschwarz ergießt sich der Samt in den Raum. 180 Meter Stoff sind über ein hohes Gerüst drapiert, dominieren den Raum, saugen den Blick an, der sich in Falten und Fältchen verliert. Anfassen ist nicht erlaubt — doch beim Hinausgehen streicheln viele Hände verstohlen über das weiche Gewebe. Vorwiegend textile Kunst zeigt Alice Musiol in ihrer Ausstellung in der Galerie Grölle pass.project.

Anders als frühere Arbeiten erschließen sich diese nicht ganz so leicht. So ist von weitem nicht erkennbar, was die zarte, graue Stickerei auf dem hellen Tuch darstellt. „Einen Salto der Wahrnehmung“, nannte Galerist Jürgen Grölle das bei der Eröffnung. Erst nehme man nur graues Grundrauschen wahr. Komme man näher, wird der Eindruck chaotisch, dann streng strukturiert, bis sich schließlich die Wörter Haha und Aha abheben — eine fröhliche Erkenntnis.

Alice Musiol, 1971 in Kattowitz geboren, seit 1981 in Deutschland und Ende der 90er Jahre Meisterschülerin von A. R. Penck in Düsseldorf, mag weiche, warme Materialien und filigrane Arbeit: „Ich könnte nicht dauerhaft mit Steinen arbeiten.“ Über Jahre stickt sie an einzelnen Werken. Die langsame Entstehung ist ihr wichtig: „Ich sehe das nicht als Handarbeit, sondern als Zeichnen im verlangsamten Arbeitsprozess. Dass etwas lange dauert, erfüllt mich, das hat auch einen stärkeren Unikat-Charakter.“ Am liebsten arbeitet sie farblos: „Farbe lenkt ab, Farbe verführt.“

Nur „Die Rettung der Welt“ strahlt in optimistischem Blau und Sonnengelb. Die Weltenrettung ist allerdings auch noch nicht abgeschlossen. Textile Kunst war jahrhundertelang eine Domäne der Frauen — schon, weil ihnen andere Ausbildungen lange verwehrt waren. Ernst genommen wurden ihre Werke nicht. „Aber wenn es ein Mann macht, ist es plötzlich Kunst“, diagnostizierte Galerist Grölle.

Früher hat Alice Musiol auch Werke mit Knäckebrot und Salzstangen geschaffen, die gerade die Dauer einer Ausstellung überstanden. Verkäuflich ist das nicht. Auch die Samt-Installation dürfte es schwer haben, ein passendes Ambiente zu finden. Kein Grund für Alice Musiol, an ihrer Arbeit etwas zu ändern: „Mir ist es wichtig, Sachen zu machen, die einen ideellen Wert haben.“

“ „Kissing the Dust — Alice Musiol“ ist bis zum 9. November bei Grölle pass:project, Friedrich-Ebert-Straße 143e, Mi bis Fr 16 bis 19 Uhr und Sa 11 bis 14.30 Uhr zu sehen.

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