Freie Kultur Wuppertal Die geballte Energie engagierter Frauen

Torsten Krug vom Freien Netzwerk Kultur über die Stimmen der Sängerinnen.

 Torsten Krug vom Freien Netzwerk Kultur.

Torsten Krug vom Freien Netzwerk Kultur.

Foto: Fischer, A. (f22)/Fischer, Andreas (f22)

In Wuppertal gibt es einen Chor von Frauen aus aller Herren Länder, deren Stimmen noch immer zu wenig Gehör finden. Ich schreibe diesen Satz bewusst mehrdeutig. Den Chor gibt es tatsächlich – gleich werde ich von ihm erzählen, denn ich finde, er sollte noch bekannter sein. Und leider stimmt auch: Viele seiner Sängerinnen stammen aus Ländern, in denen ihre Stimmen noch immer unterdrückt werden.

Der Wuppertaler Chor, von dem ich rede, trägt seine positive Energie schon im Namen: WoW – als Abkürzung für „Women of Wuppertal“. Seine Sängerinnen stammen aus vielen Kulturen der Erde und leben in Wuppertal. Gesungen wird in den jeweiligen Herkunftssprachen und auf Deutsch. Hayat Chaoui leitet den Chor: „Wir definieren uns über das gemeinsame Tun im Augenblick, nicht darüber, woher wir kommen, welchen Bildungsstand wir haben, oder wie gut wir deutsch sprechen. Wir lernen voneinander und miteinander durch das Erarbeiten unserer Lieder.“ WoW ist ein Angebot der Bergischen Musikschule in Kooperation mit Alpha e.V. (Soziale Dienstleistungen) und wird gefördert durch das Jobcenter Wuppertal.

Auf den Chor aufmerksam geworden bin ich während der Vorbereitungen für meine Inszenierung von „Lange Schatten unserer Mütter“ von Safeta Obhodjas. Bei der Uraufführung am 6. September werden neben den Schauspielerinnen Silvia Munzón López und Marina Matthias auch Frauen dieses Chores auf der Bühne stehen und das Thema Integration auf ihre Weise, mit ihren Stimmen und ihrem Spiel mit erzählen.

Bei einem Vortreffen zu unserer gemeinsamen Theaterarbeit erzählt mir eine Sängerin aus dem Iran, dass Frauen dort nicht solo singen dürfen. Auch Laufen zu gehen, in der Öffentlichkeit Sport zu treiben, wäre ihr dort nicht möglich. Jetzt singe sie, spiele Leier, und wenn sie Laufen gehe, renne sie noch eine Runde extra für alle Frauen, die das nicht könnten. Das treibe sie an. Eine andere Sängerin kam im Säuglingsalter durch Adoption nach Deutschland und kennt nichts anderes, von ihrer Erscheinung her eine junge indische Frau. Auch deutsche Frauen sind dabei, eine aus dem Alemannischen, sozusagen ebenfalls mit „Migrationshintergrund“. Dieses Wort könne sie nicht mehr hören, sagt eine andere. Sie hätten Familien, Geschichten, die hätten wir doch alle.

Als ich das erste Mal eine Probe von WoW besuche, treffe ich auf die geballte Energie von rund 40 einzigartigen Frauen. Der hohe Raum unter dem Dach der Musikschule wirkt wie aufgeladen mit ihren Geschichten und ihrer Präsenz. Die Lieder lernen sie von Hayat Chaoui ohne Noten, allein durch Nachahmung. Oft haben sie schwierige Rhythmen, ungerade Taktarten, für unsere Ohren ungewöhnliche Tonfolgen, und natürlich: Gesungen wird in einer von rund vierzehn Sprachen. Da wird jede Frau einmal zur Expertin und lehrt die anderen Aussprache und Bedeutung des jeweiligen Textes. Allein diesen Vorgang finde ich einzigartig. Es gibt Frauen mit großen Stimmen, die sofort loslegen, wenn sie einen Wink bekommen, eine Passage solo zu singen. Ihre rauen, kehligen oder auch glockenklaren Stimmen füllen den Raum mit Leichtigkeit, voller Lebensfreude und Melancholie. Andere singen lieber im Hintergrund mit und dürfen sich in einer starken Gemeinschaft erleben. Kürzlich ging der Chor auf Reisen. Aufgrund seiner Nominierung für den Integrationspreis durch die Bundeskanzlerin war er nach Berlin eingeladen. Seine Botschaft ist stark und klar: Lasst uns zusammen klingen! Erhebt eure Stimmen!

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