Uraufführung „Lange Schatten unserer Mütter“

Das Stück von Safeta Obhodjas über Frauen aus Migrantenfamilien wird am 6. September uraufgeführt.

 Freuen sich auf „Lange Schatten unserer Mütter“: (v.l.) Brigitte Melchers, Torsten Krug, Marina Matthias, Silvia Munzón López, Lukas Hagemann.  Foto: Stefan Fries

Freuen sich auf „Lange Schatten unserer Mütter“: (v.l.) Brigitte Melchers, Torsten Krug, Marina Matthias, Silvia Munzón López, Lukas Hagemann.  Foto: Stefan Fries

Foto: Fries, Stefan (fri)

Die Tafel ist gedeckt, aber die Festgesellschaft findet sich nicht ein. Dabei wird andauernd über Zusammenkünfte, Einladungen zum gemeinsamen Essen, Familientreffen gesprochen. „Lange Schatten unserer Mütter“ ist ein Stück mit vielen Monologen, die aneinander vorbei und über abwesende Personen geführt werden. Ein Stück über die Unfähigkeit zur Kommunikation und über Frauen aus Migrantenfamilien in Deutschland, zwischen Tradition und Öffnung, zwischen Parallelgesellschaft und Integration. Über die Schwestern, Zeyneb und Dilara, ihre Eltern und ihre eigenen Kinder.

Safeta Obhodjas wuchs als Muslimin in Bosnien auf, studierte in Sarajevo, verließ 1992 mit 41 Jahren unter dem Druck der serbischen Nationalisten ihre Heimat. Die Schriftstellerin lebt seither in Wuppertal. Ihr Anliegen: Migrantinnen dabei helfen, aus den traditionellen Familienstrukturen auszubrechen. 2015 fand sie mit der Fotografin Petra Göbel zusammen, die das gleiche Thema umtreibt. Es entstand die Ausstellung „Lange Schatten unserer Mütter“: Obhodjas führte Interviews mit jungen Akademikern und ihren Müttern, Goebel hielt beide im Bild fest. Ein bewegendes Projekt, das Grundlage für ein Theaterstück wurde. Obhodjas schrieb es direkt im Anschluss, veröffentlichte es und bat als Mitglied der Gedok Wuppertal deren Vorsitzende Brigitte Melchers um Unterstützung bei einer Aufführung. Die wiederum fand in Lukas Hegemann, Geschäftsführer der Börse, einen Partner, der ihr eine Bühne gibt „und weit entgegenkommt“. Als weitere Sponsoren konnten die Jackstädt-Stiftung, das Kulturbüro, die Schuler-Stiftung und die Heinrich-Böll-Stiftung gewonnen werden. Melchers freut sich riesig, dass ihre jahrelangen Bemühungen nun zum Erfolg führen.

Wenn Menschen im Dialog aneinander vorbeireden

Marina Matthias und Silvia Munzón López kennen einander schon länger. Zusammen haben sie zwei musikalische Lesungen über das Verhältnis von Müttern und Töchtern gestaltet, sind also mit dem Thema bestens vertraut. Obhodjas Stück ist den Schauspielerinnen Herzensanliegen und Herausforderung zugleich. Marina Matthias schlüpft in die Rolle der älteren Schwester Zeyneb, die der Tradition verhaftet bleibt, Silvia Munzón López gibt die integrierte Dilara, die gemäß liberaler westlicher Werte zu leben und sich aus den Familienstrukturen zu befreien versucht. Beide haben Ehemann und Kinder, verhandeln alltägliche Themen wie Ausbildung. Silvia Munzón López: „Es ist ein unaufgeregtes Stück, das ohne Ehrenmord und Anschläge auskommt.“ Regisseur Torsten Krug probt mit den Schauspielerinnen getrennt, das erlaube den „Perspektivenwechsel zu ein- und derselben Situation“, erklärt er und berichtet von der spannenden Erfahrung, von der jeweils vorgetragenen Position vereinnahmt zu werden, bis er die andere höre. Krug hat auch Frauen aus dem internationalen Women of Wuppertal-Chor der Bergischen Musikschule verpflichtet, die ihn auf einer Probe begeisterten. Wie er sie ins Stück einbaut, verrät er noch nicht.

Das Bühnenbild, für das Manfred Marczewski verantwortlich zeichnet, soll puristisch sein, die Kostüme müssen noch ausgesucht werden, nur Zeynebs Kopftuch ist gesetzt. Im großen Veranstaltungsraum der Börse wird ein langer Tisch quer vor die Bühne gestellt, die Zuschauerränge in drei Gruppen darum herum gruppiert. Krug: „Hier sitzen die Frauen, essen, bewirten, viele sind auch nur als Geist da.“ Der Schatten, der Druck der Mütter wirke, auch wenn sie körperlich nicht da seien. Die, die da sind, sprechen mitunter direkt das Publikum an.

 „Lange Schatten unserer Müttter“ hat viele Facetten. Lukas Hegemann sieht das Theaterstück auch im Kontext des Dialogs zwischen Deutschen und Einwanderern, wirbt für eine offene Gesellschaft und erinnert daran, wie schwer sich die Politik mit der Anerkennung Deutschlands als Einwandererland tut. Silvia Munzón López betont, wie schwierig der Drahtseilakt Dilaras zwischen Aufgeschlossenheit und alten Werten ist, zumal diese, durchaus auch Heimat in der Fremde geben können. Marina Matthias wiederum muss sich mit der Rolle der Zeyneb, die im Gegensatz zu ihrem Mann ihrer Tochter den Mathematik-Nachhilfeunterricht verwehren will, erst anfreunden. Zeyneb sei oft schwer zu verstehen und eine Herausforderung, sagt sie.

Gibt es ein Happy End? Das Ende des Stücks sei offen, verneint Krug indirekt. Es werde klar, dass die Schatten auch die Kinder erreichen, die die Gewalt austragen, die die Eltern nur aussprechen. Es steht schlecht um die Kommunikation – nicht nur in Migrantenfamilien.

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