Bitterböse Farce: Die Bühnen feiern das Fest der Seitenhiebe

Die Premierengäste genossen „Schöne Bescherungen“ im Barmer Opernhaus.

Wuppertal. Stell dir vor, es ist Weihnachten und alle haben sich lieb. Alan Ayckbourn mag gar nicht daran denken — jedenfalls nicht mit Blick auf die Bühne, auf der nicht nur der Wackelpudding bis ins Tiefste erschüttert wird. Und so malt sich der Dramatiker lieber aus, was vermutlich gar nicht so weit hergeholt ist: Wenn sich neun Menschen tagelang nahe stehen (müssen), wird aus dem Kuschelkurs schnell eine Kampfansage — und aus jedem Fettnäpfchen eine Tretmine.

„Schöne Bescherungen“ erleben die Zuschauer deshalb im Opernhaus. Den Zeitpunkt hätten die Wuppertaler Bühnen nicht besser wählen können: Was könnte die brüchige Fassade des bürgerlichen Festtags-Frohsinns besser entlarven als schwarzer britischer Humor? So schmilzen die Sehnsüchte der Einzelnen dahin wie die leise rieselnden Schneeflocken: Saisongerecht tischt Tilo Nest eine tiefsinnige Komödie auf, die sich um den ganz normalen Wahnsinn zwischen Festtagsbraten, Würfelspielen und Geschenkeorgie dreht — Alkohol, Sex und Beleidigungen inklusive.

Das ist nicht immer leicht verdaulich, wird aber höchst amüsant serviert. Es kommt ja auch immer auf die jeweiligen Erwartungen an — und die werden im Opernhaus nach bester britischer Art erfüllt. Denn das Fest der Liebe ist ein einziger Akt der Seitenhiebe: Den eingespielten Alltag durchbricht der attraktive Schriftsteller Clive (flirtet mit leisen Tönen: Hanno Friedrich), den die ewige Jungfrau Rachel (großartig in ihrer gespielten emotionalen Unbeholfenheit: Julia Wolff) ins Haus geholt hat. Ob er will oder nicht: Clive funkt an vielen Stellen dazwischen, stört die Saturiertheit des Gastgeberpaares (Maresa Lühle, Thomas Braus) und den Televisions-Frieden des Onkels (überragend zynisch: Georg Marin), der ein Freund jeder Waffengewalt ist.

Der häusliche Frieden hält ohnehin nicht lange an, schließlich gibt es da ja noch den sensiblen Mediziner, der besser mit Marionetten umgehen kann als mit seinen Patienten (der perfekte Versager: Lutz Wessel), seine alkoholkranke Frau (herrlich weinerlich: Sophie Basse) und eine hochschwangere Mutter (sympathisch pragmatisch: Juliane Pempelfort) mit kindlichem Gemüt und infantilem Mann (Holger Kraft als Möchtegern-Macho und dennoch liebenswerter Trunkenbold). Allesamt skurrile Typen, die bestens getroffen sind.

Die Inszenierung kommt bitter-bissig, manchmal jedoch etwas brav daher. Sie lebt zwar auch von Situationskomik, doch über allem steht die Tragik, die Nest fein herausschält. Dass es nicht nur auf Slapstick ankommt, ist einerseits eine wahre Freude, weil die Figuren dadurch viele Facetten erhalten. Andererseits entsteht zwischen einigen Szenen durchaus Leerlauf. Schnellere Übergänge täten dem ganzen Theater gut.

Dass „Schöne Bescherungen“ ein wenig angegraut wirkt, liegt nicht zuletzt an der Kulisse (Bühne und Kostüme: Bernhard Siegl). Freunde naturalistischer Bühnenbilder, die im Opernhaus zuletzt wenig auf ihre Kosten kamen, dürften sich freuen. Allerdings käme die Feiertagsgesellschaft den Zuschauern vielleicht noch näher, wenn die Requisiten nicht wirkten, als seien sie gefühlte Jahrzehnte alt.

Ein Trumpf der hervorragend besetzten Inszenierung sind dafür die subtil herausgearbeiteten Figuren, die bei aller Überspitztheit doch so menschliche Züge erhalten, dass sich vor allem bei den erfolglosen Annäherungsversuchen zwischen der Jungfrau und ihrem Dichter echte Betroffenheit einstellt. Stell dir also vor, es ist Ostern und „Schöne Bescherungen“ wird immer noch gespielt. Das mag zwar nicht realistisch sein, die Begeisterung des Premierenpublikums sprach dennoch für sich: Die Farce ist ein Fest der Schauspielkunst — und ein Geschenk für alle, denen ein ehrlicher Seitenhieb lieber ist als jede künstliche Harmonie.

Regie:
4 von 5
Bühne: 3 von 5
Ensemble: 5 von 5

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